Individuell Lernende nicht alleine lassen – zur Relevanz von Beziehungen in digitalen Lernprozessen

Im Diskurs zum digitalen Lernen wird dem Subjekt eine prioritäre Rolle eingeräumt. Im Fokus stehen selbstbestimmte und selbstorganisierte Lernformen, eigenständige Wissenskonstruktionen, ein individuelles und personalisiertes Lernen, welches durch KI-gestützte adaptive Lerntechnologien, durch Vermessung und Datafizierung ermöglicht werden soll. Vor diesem Hintergrund möchten wir in unserem Beitrag im Anschluss an subjektwissenschaftliche Positionen aufzeigen, dass solche technologiegestützten Lernprozesse nicht per se gleichzusetzen sind mit einem individuellen, subjektorientierten Lernen i.S. Holzkamps, sondern dass sich das Subjekt in solchen Szenarien häufig an ein algorithmisch determiniertes Soll-Profil im Sinne einer Funktionslogik anzupassen hat (vgl. Weich 2018, S. 12). Lernen nach subjektwissenschaftlichem Verständnis ist aber nicht auf äußere Anstöße oder Anpassungserfordernisse zurückzuführen, sondern durch den Lernenden selbst begründet und abhängig von dessen individuellen situativen, biographischen und sozialen Kontexten. Im Mittelpunkt stehen der Lernende und seine Lernbedürfnisse; in Lernprozessen kommt es darauf an, „Zugänge zu schaffen, Reibungsmomente anzubieten, Reflexion und Austausch in den Mittelpunkt zu stellen“ (Bretschneider/Pflaum 2016, S. 116). Dies kann u.E. auch in digitalen Lernformen gelingen. Voraussetzung hierfür ist aber weniger die Fokussierung auf eine datenbasierte Bestimmung von Lernendenprofilen, sondern vielmehr die Ermöglichung und Ausgestaltung von Beziehungen zwischen Lehrenden und Lernenden im digitalen Raum. Darum ist es uns ein Anliegen, auf die Rolle von Beziehungen als eine wesentliche Bedingung eines lernendenzentrierten Ansatzes zur Bildung mit digitalen Medien aufmerksam zu machen, die über gängige Social-Software-Lösungen hinausweist. Hierzu wollen wir zum einen auf die beziehungsdidaktischen Überlegungen des interaktionistischen Konstruktivismus (Reich 1998, 2004) rekurrieren, der Beziehungen als entscheidend für das Gelingen oder Misslingen von Lernverhalten betrachtet. Auch soll ein Bezug auf subjektwissenschaftliche und pragmatistische Positionen und deren Synthese bei Faulstich (2013) erfolgen, um die Wechselseitigkeit individuellen und sozialen Lernens in und über Handlungen zu betonen. Abschließend diskutieren wir, wie sich angesichts dieser Überlegungen die Auswahl und der Einsatz digitaler Medien in der beruflichen Bildung, einem wichtigen Wirkungsfeld von Gerhard Zimmer, begründen lassen können.

Literatur:

Bretschneider, M., Pflaum, E. (2016). Lernendenzentrierung im Lehren und Lernen mit Medien. In: W. Pfau, C, Baetge, S.M. Bedenlier, C. Kramer, J. Stöter (Hg.), Teaching Trends 2016. Digitalisierung in der Hochschule: Mehr Vielfalt in der Lehre, S. 111-119. Münster, New York: Waxmann. Faulstich, P. (2013): Menschliches Lernen. Eine kritisch-pragmatistische Lerntheorie. Bielefeld: transcript Reich, K. (1998): Die Ordnung der Blicke. Perspektiven eines interaktionistischen Konstruktivismus. Bd. 2. Beziehungen und Lebenswelt. Neuwied: Luchterhand Reich, K. (2004): Konstruktivistische Didaktik. Lehren und lernen aus konstruktivistischer Sicht. 2. Auflage. Neuwied: Luchterhand. Weich, A. (2018). Was nicht passt, wird passend gemacht. Learning Analytics als Teil des Profilierungsdispositivs. medienimpulse, Jg. 56, Nr. 1, 201

HSU

Letzte Änderung: 7. April 2022