Erziehung und Interaktion in der Kindertagesstätte

DFG-Projekt (7/22-9/25)

Leitung: Dr. Morvarid Dehnavi, Prof. Dr. Arnd-Michael Nohl

Mitarbeit: Dr. Sarah Thomsen, Marco Mazzarisi, M.A.

Broschüre für Eltern, Erzieher*innen und Kita-Leitungen

Zusammenfassung

Erziehung als Leitbegriff der Erziehungswissenschaft hat in den vergangenen Jahrzehnten durch die Fokussierung der Begriffe Sozialisation und später Bildung eine Marginalisierung erfahren. Aus dem Blick geraten ist dabei, dass Menschen nicht nur selbstläufig in Lebens- und Handlungsorientierungen hineinwachsen (Sozialisation) und sich ihr Aufwachsen nicht nur in der eigenständigen Entfaltung und Transformation von Lebensorientierungen erschöpft (Bildung), sondern dass Menschen unterschiedlichen Alters auch Lebens- und Handlungsorientierungen nachhaltig zugemutet werden können (Erziehung). Vor diesem Hintergrund zielt das Projekt auf die empirische Analyse von Erziehungsprozessen und verknüpft diese mit einer grundlagentheoretischen Reflexion des Erziehungsbegriffs. Dieses Forschungsziel wird an einem zentralen Gegenstand der Frühpädagogik, der Fachkraft-Kind-Interaktion in Kindertagesstätten, realisiert. Auf der Basis von videographierten Interaktionssituationen aus drei Kindertagesstätten werden Interaktionsstrukturen von Erziehung analysiert. Dabei soll Erziehung erstens von anderen (pädagogischen) Prozessstrukturen wie Lehre, Sozialisation, Sorge und Führung theoretisch und empirisch abgegrenzt, zweitens in ihrem heterogenen Binnengefüge rekonstruiert und drittens in ihrer sozialen Genese analysiert werden. Die Auswahl der Kindertageseinrichtungen und der zu interpretierenden Interaktionspassagen erfolgt nach dem Prinzip des Theoretical Sampling und dient damit der Typen- und Theoriebildung. Ausgewählte Passagen, in denen sich Interaktionen zwischen pädagogischen Fachkräften und Kindern vollziehen, werden mit der Dokumentarischen Methode ausgewertet, die in eigenen Vorarbeiten mit Rückgriff auf konversationsanalytische Argumentationen erweitert wurde. Angestrebt wird zum einen eine sinngenetische Typenbildung, mit der sich aufzeigen lässt, wie sich die Orientierungen der Interaktionsbeteiligten mit der Interaktionsdynamik zu Interaktionsmodi verbinden; zum anderen eine relational-prozessanalytische Typenbildung, mit der die Relation und Prozesshaftigkeit der Interaktionsmodi erfasst und auf ihre Bedeutung für pädagogische Prozesse hin untersucht werden. Gleichzeitig ist das Forschungsdesign so angelegt, dass durch die im Sampling angesteuerten maximalen Kontraste nicht nur unterschiedliche Facetten von Erziehung beleuchtet werden können, sondern nach Möglichkeit auch ihre Soziogenese. Betrachtet werden Unterschiede zwischen einer großstädtischen und einer ländlichen Kindertageseinrichtung, zwischen unterschiedlichen Konzepten, zwischen unterschiedlichen Altersgruppen sowie zwischen solchen Interaktionssituationen, die hinsichtlich ihres Strukturierungsgrades differieren. Die im Projekt angestrebten empirischen Ergebnisse sollen in ein reflexives Verhältnis zum Grundbegriff und zur Theorie der Erziehung gesetzt und diese wiederum im Kontext der Frühpädagogik und der Allgemeinen Pädagogik diskutiert werden.

Erste Publikationen

Nohl, Arnd-Michael/Dehnavi, Morvarid/Amling, Steffen (2021): Interaktionsmodi und pädagogische Prozesse: Zur videographiebasierten dokumentarischen Interpretation von Interaktionen in Kindertagesstätten. In: Alexander Geimer, Denise Klinge, Stefan Rundel, Sarah Thomsen (Hrsg.): Jahrbuch Dokumentarische Methode, Heft 4/2021. Berlin: centrum für qualitative evaluations- und sozialforschung e.V. [url: https://doi.org/ 10.21241/ssoar.78276], S. 77-101

Amling, Steffen/Dehnavi, Morvarid/Nohl, Arnd-Michael (2022): Führung und Sorge in pädagogischen Interaktionen – Videographiegestützte Beobachtungen in Kindertagesstätten. In: Zeitschrift für Pädagogik 68 (2), S. 207-226

HSU

Letzte Änderung: 9. Mai 2023