ZUSAMMENFASSUNG
Die Zukunft der nuklearen Ordnung
Nach dem Abschluss des Vertrags über die Nichtverbreitung von Kernwaffen (NVV) im Jahre 1968 hat dieses Regime über drei Jahrzehnte die nukleare Ordnung gewährleisten können. Ungeachtet seines bisherigen Erfolgs wurde das Regime aber im zurückliegenden Jahrzehnt zunehmend in Frage gestellt: durch neue Atomwaffenbesitzer und entsprechende Aspiranten (z.B. Iran), durch die mangelnde Abrüstungsbereitschaft der etablierten Atommächte, durch die Wiederentdeckung der Nuklearwaffe als Kriegsführungswaffe vor allem in den USA, aber auch in Frankreich, durch offensichtliche Defizite in Bezug auf die Kontrollmechanismen und durch „doppelte Standards“ bei der Sanktionierung von Verstößen gegen das Regime. Seit ein oder zwei Jahren deutet sich – optimistisch betrachtet – ein Paradigmenwechsel in der multilateralen Rüstungskontrolle an. Nukleare Abrüstung, Rüstungskontrolle und Nichtweiterverbreitung sind wieder auf einen prominenten Platz auf der weltpolitischen Agenda gerückt. An einer solchen Entwicklung hat die Bundesrepublik Deutschland als Nicht-Kernwaffenstaat und als ein an Multilateralismus und Rüstungsbegrenzung orientierter Akteur ein besonderes Interesse, denn sie setzt sich traditionell für die Stärkung eines funktionsfähigen, effizienten Regimes der nuklearen Ordnung ein.
Im Rahmen dieses Projekts wurde untersucht, welche Erfolgsbedingungen erfüllt sein müssen, um das Regime der nuklearen Ordnung zu erhalten und auszubauen. Dazu wurden u.a. zentrale Herausforderungen an das Regime (z.B. das iranische Nuklearprogramm) als auch alternative Ordnungsentwürfe (z.B.nukleare Nichtweiterverbreitung durch unilateralen Zwang) analysiert. Besonders berücksichtigt wurde eine mögliche Beeinträchtigung der nuklearen Ordnung durch die Einführung strategischer Raketenabwehrsysteme. Die Ergebnisse eines Workshops und einer wissenschaftlichen Konferenz wurden im Frühjahr 2009 als Buch veröffentlicht. Dieser Sammelband („Die Zukunft der nuklearen Ordnung“) wurde Helmut Schmidt, in dessen Amtszeit (1975) die Bundesrepublik Deutschland dem NVV beitrat, zum 90. Geburtstag gewidmet.
Zu den Ergebnissen des Projekts gehören die folgenden Schlussfolgerungen:
- Zum etablierten System der nuklearen Ordnung mit dem Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Kernwaffen als zentraler Referenznorm gibt es keine Erfolg versprechende Alternative. Alle politischen Initiativen, die eine Reform der nuklearen Ordnung erreichen wollen, sollten daher bei der Stärkung des NVV-Systems ansetzen.
- Unilaterale, nicht-integrative Ordnungskonzepte zur nuklearen Nichtweiterverbreitung haben sich nicht bewährt. Kein Staat allein – und auch keine „Koalition der Willigen“ – ist in der Lage, die Ordnungsfunktion der bisherigen Nuklearordnung zu ersetzen. „Double standards“ und Alleingänge gerade von wichtigen Atomwaffenstaaten fördern aber eine Erosion des NVV-Systems und sind deshalb kontraproduktiv.
- Alle Vertragsstaaten, besonders aber die Besitzer von Kernwaffen, müssen den Vertrag über Nichtweiterverbreitung in allen Bestandteilen respektieren und anwenden. Die selektive Akzeptanz von Normen, wie der Verpflichtung zur Abrüstung und der Gleichbehandlung aller Vertragsstaaten, untergräbt die Legitimität des nuklearen Ordnungsregimes. Je signifikanter wichtige Atomwaffenstaaten von Buchstaben und Geist des Regimes abweichen, desto geringer wird für die Nichtbesitzer der Anreiz, dieses System als im eigenen Interesse liegend zu akzeptieren.
- Der internationalen Behandlung des iranischen Atomprogramms kommt höchstwahrscheinlich eine Schlüsselbedeutung für die zukünftige Gestaltung der nuklearen Ordnung zu. Der Erwerb von Atomwaffen durch die Islamische Republik könnte zu einem „Dammbruch“ regionaler Proliferation führen und die Aufrechterhaltung des NVV-Systems untergraben. Darum muss nachdrücklich eine umfassende Lösung („Grand bargain) angestrebt werden, die nicht nur die internationalen Aspekte, sondern auch und vor allem die Sicherheitsinteressen und –perzeptionen des Iran und der USA berücksichtigt.
ABSTRACT
The future of the nuclear order
After the signing of the Treaty on the Non-Proliferation of Nuclear Weapons (NPT) in 1968, this regime has been able to provide a nuclear order over three decades. Despite its recent success the regime has been called increasingly into question over the past decade by new nuclear weapons owners and appropriate candidates (e.g. Iran), by an unreadiness to disarm among established nuclear powers, through the rediscovery of the nuclear weapons as an actual weapon of warfare especially in the U.S., but also in France, due to obvious deficiencies in terms of control mechanisms, and by „double standards “ regarding sanctions for violations of the regime. Optimistically speaking there have been signs for a paradigm shift in the multilateral arms control over the last two or three years. Nuclear disarmament, arms control and nonproliferation returned prominently on the world political agenda, not least by the „Global Zero“-movement. The Federal Republic of Germany as a non-nuclear weapon state is traditionally involved in multilateral oriented arms control and has therefore a special interest in strengthening an effective and efficient regime of the nuclear order.
This project examined the key conditions for maintaining and expanding the nuclear order regime. For this purpose, central challenges to the regime (such as the Iranian nuclear program) as well as alternative order designs (e.g. nuclear nonproliferation through unilateral coercion) have been analyzed. Special consideration was given to a possible impairment of the nuclear order by the introduction of strategic missile defense systems. The outcomes of a workshop and a scientific conference in the spring of 2009 have been published as a book. This volume („The future of the nuclear order“) is dedicated to former German chancellor Helmut Schmidt (on the occasion of his 90th birthday), who was in office, when the Federal Republic Germany joined the NPT in 1975.
The results of the project include the following conclusions:
- There is no effective alternative to the established system of nuclear order build around the Treaty on the Non-proliferation of nuclear weapons. All political initiatives which aim to achieve a reform of the nuclear order should, therefore, start with strengthening the NPT regime.
- Unilateral, non-integrative concepts of order on nuclear non-proliferation have not been successful. No state alone – not even a „coalition of the willing“ – is able to replace the regulatory function of the existing nuclear order. „Double standards“ and unilateral support especially from major nuclear weapon states foster an erosion of the NPT regime and are therefore counterproductive.
- All parties, especially the owners of nuclear weapons, must respect the Treaty on Non-proliferation and comply with all its elements. The selective acceptance of standards, such as the obligation to disarm and the equal treatment of all Contracting States, undermines the legitimacy of the regime’s nuclear order. The more significant major nuclear weapons states deviate from the wording and spirit of the regime, the less there will be an incentive for non-owners to believe this system is in their own interest.
- The international treatment of the Iranian nuclear program is likely to be of key importance for the future of the nuclear order. The acquisition of nuclear weapons by the Islamic republic might lead to a „slippery slope“ of regional proliferation and undermine the maintenance of the NPT regime. Therefore a comprehensive solution („grand bargain“) must be sought which not only takes into account international aspects, but also and above all the security interests and security perceptions of Iran and the United States.
Letzte Änderung: 14. November 2017