Responsibility to Protect: Instrument der Re-Legitimisierung des Krieges oder Vehikel der Kriegsächtung?
Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Professur für Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen und des Instituts für Theologie und Frieden.
Nach der kontroversen Debatte über „humanitäre Interventionen“ in den 1990er Jahren hat die Responsibility to Protect (R2P) in erstaunlich kurzer Zeit eine grundsätzliche Akzeptanz in der VN-Gemeinschaft gefunden. Nur vier Jahre nach der Vorstellung des Konzepts einer Schutzverantwortung durch die International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS) im Jahr 2001 wurde es im Oktober 2005 in die Abschlusserklärung des Weltgipfels zur VN-Reform aufgenommen. Auf der Grundlage dieses Konzepts sollen die Achtung der Menschenrechte im Kontext massiver Gewaltkonflikte gestärkt und deren Geltung auch im Spannungsfeld mit anderen Grundbausteinen des Völkerrechts wie dem Interventionsverbot und der Souveränität der Staaten aktiv eingefordert oder sogar militärisch geschützt werden. Zwischen der bisherigen Völkerrechtsordnung und R2P offenbart sich damit ein normativer Konflikt, denn auch Souveränität und Interventionsverbot stellen wesentliche Elemente des Kriegsverhinderungsrechts dar und dienen insofern dem Menschenrechtsschutz. Die Kriegsächtung dient dem Schutz der Menschenrechte; gleichzeitig können Bestandteile der Kriegsächtung wie das Gebot der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten und das Interventionsverbot eben diesen Menschenrechtsschutz beschränken.
An diesem normativ und praxeologisch komplexen Spannungsverhältnis setzt auch die kritische Auseinandersetzung mit dem R2P-Konzept in der wissenschaftlichen Literatur an. Dabei sind vier Kritikpunkte von besonderer Bedeutung: (1) Die Schutzverantwortung suggeriere, dass Gewalt für eine gute Sache erlaubt sei, und untergrabe damit das Gewaltverbot; (2) Militärische Instrumente zögen im Ergebnis mehr Schaden als Nutzen nach sich; (3) R2P könne missbraucht werden, um unilaterale oder präventive Militärschläge zu rechtfertigen; (4) Schließlich könne R2P zu einem humanitär verbrämten Interventionismus zur Verbreitung westlicher Ordnungsvorstellungen führen.
Bisher fehlt es an theoretisch informierten empirischen Studien, die sich mit den genannten Einwänden tiefgehend auseinandersetzen und mögliche negative, nicht-intendierte Folgen des Konzepts der R2P untersuchen. Hier setzt das interdisziplinäre Forschungsprojekt an. Im Vordergrund stehen dabei Auswirkungen, die die R2P auf das Programm der strukturellen Überwindung des Krieges haben könnte. Die übergeordnete Fragestellung dieses Forschungsprojekts lautet: Trägt R2P als normatives Konzept und politisches Instrument zur Kriegsächtung bei? Im Einzelnen sollen in Teilprojekten drei spezifische Fragestellungen beantwortet werden:
Erstens das ICISS-Konzept als Normkomplex: In welchem Verhältnis steht dieser zum Programm der Kriegsächtung? Läuft das Konzept möglicherweise auf eine Welt hinaus, die Kriege im Namen der Menschenrechte erlaubt oder sogar verlangt?
Zweitens der Prozess der Rezeption der Schutzverantwortung im Hinblick auf Akzeptanz, Verbreitung und Veränderung: Wie tragfähig ist der politische R2P-Konsens?
Drittens nicht-intendierte Wirkungen der Schutzverantwortung: Gibt es Defizite des Konzepts, die das Ziel der Kriegsächtung gefährden und zu einer Re-Legitimierung des Krieges als Instrument der Politik beitragen?
Das Gesamtprojekt versteht sich als interdisziplinär zwischen der Friedensethik und der Politischen Wissenschaft und bezieht die Entwicklung des Völkerrechts mit ein. Das gemeinsame Erkenntnisinteresse in Bezug auf die Bedeutung der R2P für das Kriegsächtungsprogramm liefert hierbei den übergreifenden Rahmen. Erst die Zusammenschau der unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen der Fachdisziplinen ermöglicht eine umfassende, inhaltlich tiefe Beantwortung der übergeordneten Fragestellung.
Letzte Änderung: 24. Juni 2019