Forschungsdateninfrastrukturen

Die wachsende Bedeutung digitaler Infrastrukturen betrifft auch zunehmend den Bereich der Sozial- und Erziehungswissenschaften. So beschloss die Europäische Kommission im Jahr 2018 die Einführung der European Open Science Cloud (EOSC) mit dem Ziel einer cloudbasierten, europaweiten Infrastruktur um wissenschaftliche Daten zu lagern, verteilen und nachnutzbar zu machen (Giannoutakis & Tzovaras, 2017). Andere Beispiele sind die wachsende globale Investition in nationale Forschungsdatenzentren bzw. nationale Forschungsdatenstrategien (Pryor, 2012).

Besondere Beachtung erfährt dabei zunehmend auch die genuin qualitative Forschung, die es aufgrund ihres oftmals interpretativen und stark ko-konstruktiven Charakters jedoch besonders schwer hat, in Dateninfrastrukturen übersetzt zu werden. Dennoch werden große Hoffnungen in diese Infrastrukturalisierung gesetzt – von mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit von Forschung, über leichtere Zugänglichkeit zu Daten, Kostenersparnis, bis hin zu zunehmend auch Möglichkeiten von „machine-readable research data“ (Daniel, 2019). Entsprechend wird versucht, die Infrastrukturalisierung weiter voranzubringen, wobei ein Praxisfeld zunehmende Relevanz und Ausdifferenzierung erfährt: Forschungsdatenmanagement.

An der Professur nehmen wir die wachsende Dateninfrastrukturalisierung qualitativer Forschung, und hierbei insbesondere das Forschungsdatenmanagement als zentrales Praxisfeld in den Blick und fragen, welche Wirkungsdynamiken und auch problematischen Effekte sich hierbei für die qualitative sozial- und erziehungswissenschaftliche Forschung entfalten (können). Solche Effekte betreffen insbesondere

  • die Verengung von Sichtbarkeiten auf bestimmte Forschungen oder bestimmte Bilder des Erforschten, und zwar insbesondere solche, die ohnehin schon dominant im Feld sind;
  • ein graduelle Verlagerung von Forschungspraktiken, Forschungsgeldern und politischer Aufmerksamkeit auf Datenpraktiken (d.h. „care for data“ überlagert zunehmend das eigentliche Forschen);
  • die Normalisierung von Forschungspraktiken durch Dataveillance, Shareveillance und ethisches Monitoring. Diese würden insbesondere kritische Forschung unter wachsenden Druck setzen.

Mit dem Forschungsschwerpunkt gehen wir diesen möglichen Risiken und den damit zusammenhängenden Wirkdynamiken von Forschungsdateninfrastrukturen und Forschungsdatenmanagement auf den Grund.

Bisherige Ergebnisse des Schwerpunkts finden sich hier:

Hartong, Sigrid (2023): The global infrastructuring of research data and its risks for (particularly qualitative and critical) education scholarship. In: On Education, 18 (Special Issue: epistemologies of data). https://doi.org/10.17899/on_ed.2023.18.7.

Hartong, Sigrid; Machold, Claudia & Stošić, Patricia (2020): Zur (unterschätzten) Eigendynamik von Forschungsdateninfrastrukturen. In: Erziehungswissenschaft, 61(31): 51-59.


HSU

Letzte Änderung: 4. April 2024