Aktuelle Projekte

Schülerpensionen und Schülerverbindungen im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Im Projekt wird ein bislang kaum bekanntes schulhistorisches Phänomen für den Zeitraum 1820 bis 1945 in den deutschen Staaten untersucht, die privaten Schülerpensionen für auswärtige höhere Schüler. Die „Schulversendung“ betraf in diesem Zeitraum überwiegend Jungen, erst ab dem frühen 20. Jahrhundert wurde eine solche Versendung vereinzelt auch für Mädchen vorgenommen.

Das Projekt geht von der Hypothese aus, dass die Ursache für die Existenz von Schülerpensionen im deutschen Berechtigungssystem (der Verzahnung von höheren Schulabschlüssen mit Zugängen zu Berufspositionen) zu suchen ist. Schülerspensionen sind Privatunterkünfte, deren Anbieter/innen die Vermietung von Zimmern an Schüler und deren Beköstigung zu einem Nebenverdienst in Orten mit höheren Schulen machten. Einen größeren Internatssektor gab es in den deutschen Staaten traditionell nicht und dessen Ausbau wurde offenbar, trotz eines Unterbringungsbedarfs, von Eltern und Schulen nicht eingefordert. Vielmehr dominierten die Schülerpensionen als Unterbringungsform.

Die Jugendlichen verbrachten bis zum Erreichen des angestrebten Schulabschluss nicht selten mehrere Jahre in solchen Schülerpensionen, manchmal als einziger Pensionsschüler, manchmal zu mehreren. Die Schülerpensionen sind in ihrer Bedeutung für die Schulorte und die dortigen höheren Schulen bislang ebensowenig untersucht worden wie ihre Auswirkungen auf die Lebensführung von Jugendlichen. Schülerpensionen werden im Projekt auch erstmals in ihrer quantitativen Dimension im höheren Schulsystem der deutschen Staaten ermittelt (unsere Schätzungen gehen im Untersuchungszeitraum bislang von einem Drittel bis einem Viertel der höheren Schüler aus). An insgesamt fünf Lokalstudien werden Schülerpensionen dann in ihren Bedeutung für Schulen, Schulorte und die Sozialisation der Pensionsschüler dargestellt.

Begleitend untersucht das Projekt die Schülerverbindungen (die behördlicherseits verbotene Nachahmung von Studentenverbindungen durch höhere Schüler) und stellt die Frage nach einem möglichen Zusammenhang der Schülerverbindungen mit der Präsenz einer größeren Anzahl von Pensionsschülern an den jeweiligen Schulorten.

Literatur:

Groppe, Carola: Schülerpensionen. Ein unerforschter Gegenstand der deutschen Schul- und Jugendgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Pädagogik 3/2021, S. 431-454.

Groppe, Carola/Mathie, Dennis: Schülerleben in der Schülerpension – Funktion und Bedeutung einer Lebensform für höhere Schüler im 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Daniel Gerster/Carola Groppe (Hrsg.): Schülerinnen- und Schülerleben im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Bad Heilbrunn: Klinkhardt 2023, S. 199-224.

Die Preußischen Reformer – eine kollektive Bildungsgeschichte 

Während die politische, soziale und kulturelle Dimension der Preußischen Reformen gut untersucht ist, sind deren Protagonisten bislang kaum erforscht worden. Das Projekt widmet sich einer kollektivbiographischen Bildungsgeschichte der preußischen Reformer und fragt nach Gemeinsamkeiten und Differenzen in ihrer Sozialisation und ihren politisch-gesellschaftlichen Zielen.

Das Projekt umfasst das Ensemble der Protagonisten aller Reformen, d. h. die Regierungs- und Verwaltungsreform, die Finanzreform (Steuerverfassung, Steuerreform, Wirtschaftsordnung), die Gesellschaftsreformen (Bauernbefreiung und Gewerbeedikt), die Kommunalreform (Städteordnung), die Militärreform und die Bildungsreform.

Als Reformer werden im Projekt alle diejenigen Personen definiert, die politische und administrative Entscheidungsbefugnisse in ihrem Aufgabenbereich im fraglichen Zeitraum (1806/7-1820) besaßen und diese Entscheidungsbefugnisse für grundlegende Reformen im preußischen Staat nutzten. Eine Gruppe von 70 preußischen Reformern konnte auf diese Weise ermittelt werden.

Um aber die Reformer nicht vorschnell für singulär in ihren Eigenschaften und Denkformen zu halten, wurde eine zweite Gruppe untersucht und an sie dieselben sozialisationshistorischen Fragen gestellt wie an die Reformer. Es handelt sich hier ebenfalls um hohe preußische Verwaltungsbeamte; um königliche Berater, Verwaltungsbeamte und Minister, die aber erkennbar an den preußischen Reformen nicht teilnahmen oder gegen sie opponierten. Diese Gruppe umfasst 43 Personen.

Die Leitfrage des Forschungsvorhabens lautet: Warum entwickelte eine Gruppe von Politikern, leitenden Militärs und hohen Verwaltungsbeamten Konzepte einer fundamentalen Staats- und Gesellschaftsreform und setzte sie um und andere hingegen nicht? Im Forschungsvorhaben wird versucht, dafür bildungshistorische Erklärungen zu finden.

Literatur:

Groppe, Carola: Die preußischen Reformer. Konzept und Fragestellungen einer kollektivbiographischen Analyse. In: BIOS. Zeitschrift für Biographieforschung, Oral History und Lebensverlaufsanalysen, Jg. 29, 2016 [ersch. 2018], Heft 2, S. 192–207.

Groppe, Carola: Texte einer Diskursgemeinschaft: Die preußischen Heeresreformer schreiben über Bildung. Quellentexte von Gerhard von Scharnhorst und August Wilhelm Neidhardt von Gneisenau. In: Jahrbuch für Historische Bildungsforschung 26, 2020, S. 196–229.

HSU

Letzte Änderung: 3. Januar 2024