Pierre Köckert, M.A. ([email protected]) am ZMSBw
Dissertation
Denkt man heute an die Anwendung „militärischer Gewalt“ in inneren Konflikten des Deutschen Reiches, dann richtet sich der Fokus vornehmlich auf das erste Jahrfünft der Weimarer Republik. In neun größeren Auseinandersetzungen waren rund 13.000 Opfer zu beklagen. Der Einsatz „militärischer Gewalt“ im Inneren war jedoch keine einzigartige Erscheinung der Republik. Schon fünf Monate nach Gründung des Wilhelminischen Kaiserreiches im Januar 1871 ist ein erster staatlich legitimierter Waffengang gegen die eigene Bevölkerung im oberschlesischen Königshütte zu verzeichnen. Bisherige Darstellungen rückten insbesondere die physische Gewaltsamkeit in den Mittelpunkt der Betrachtung, wodurch der Eindruck einer „Soldateska“ entstand, die willkürlich mit entfesselter Gewalt die inneren Unruhen blutig niederschlug.
In diesem Spannungsfeld setzt das Forschungsprojekt an und liefert eine quellenbasierte militärhistorische Darstellung zur Anwendung „militärischer Gewalt“ im Inneren des Deutschen Reiches, wobei ein Schwerpunkt auf die Weimarer Republik gelegt wird. Die Studie betrachtet Unruhen und deren Bekämpfung als Momente „militärischer Gewalt“. Sie geht der Frage nach, in welchen Situationen „militärische Gewalt“ in innenpolitischen Konflikten vom Wilhelminischen Kaiserreich bis in die ersten Jahre der Weimarer Republik angewandt wurde und wie Politik, Regierungen und Öffentlichkeit darauf reagierten. Von besonderem Interesse sind die entstehenden Wechselverhältnisse zwischen einer staatlichen Regulierung, einer Politisierung der Streitkräfte und einer Militarisierung gesellschaftlicher Konflikte.
Die Arbeit wird im Feld der Gewaltforschung aus dem Blickwinkel des Militärischen auf nationaler Ebene verortet und gliedert sich dabei der „Agenda 2028“ des ZMSBw entsprechend dem Leitthema „Militär und Gewalt“ unter und steht in Verbindung mit dem Projekt zur Grundlagenforschung über die „Geschichte der Reichswehr“. Als Ergebnis wird ein Beitrag zum Verständnis über das Verhältnis zwischen Militär, Regierung, Politik und Gewalt geliefert sowie Aussagen zur Rolle und zur Anwendung „militärischer Gewalt“ im Inland getroffen. Ferner wird „militärische Gewalt“ selbst und die an ihr beteiligten Akteure charakterisiert sowie die Begrifflichkeiten Militär, Einsatz, Notstand und Bürgerkrieg akzentuiert. Dabei gilt es stets, bisherige Mythen und Narrative der Forschung – wie etwa die „verdeckte Militärdiktatur“, das „Ebert-Groener-Bündnis“, die Theorie des „Staat im Staate“, oder die Aussage „Truppe schießt nicht auf Truppe“ – zu hinterfragen. Letztendlich liefert die Studie einen kritischen Überblick über die Verlaufs- und Erfahrungsgeschichte zur Anwendung „militärischer Gewalt“ im Inneren des Reiches bis 1923.
Methodologisch verfolgt die Untersuchung eine Verbindung von deduktiver und induktiver Methode, deren theoretische Grundlage die zeitgenössischen rechtlichen Bestimmungen und kriegswissenschaftlichen Überlegungen zum Einsatz bzw. zur Anwendung „militärischer Gewalt“ im Inneren des Deutschen Reiches bilden. Von dieser theoretischen Basis wird, gemäß der deduktiven Herangehensweise, auf ein spezifisches Handlungsmuster geschlossen, welches anhand von archivalischen Quellen in mehreren konkreten Fallbeispielen überprüft wird. Diese werden nach einem einheitlichen Raster untersucht. Durch die konkreten empirischen und situativen Betrachtungen des Phänomens in den Fallstudien lässt sich, gemäß der induktiven Methode, anhand einer Generalisierung auf das Allgemeine schließen und hilft damit, Militär und „militärische Gewalt“ nicht analytisch, sondern synthetisch zu fassen, um so grundsätzlich zur Akzentuierung der Begrifflichkeit „militärischer Gewalt“ beitragen und allgemeine Aussagen zur Rolle und Anwendung „militärischer Gewalt“ treffen zu können.
Das vornehmliche Erkenntnisinteresse der Arbeit liegt darin, einen militärhistorischen Beitrag zum Verhältnis zwischen Regierung und Militär vor dem Hintergrund der Anwendung „militärischer Gewalt“ innerhalb von Konfliktsituationen im Inneren des Deutschen Reiches zu liefern.
Letzte Änderung: 17. November 2023