Interdisziplinäres Netzwerk zu Methodologie und
Anwendungsfeldernmethodenintegrativer Forschung
Videos ausgewählter Beiträge werden in kürze hier verfügbar sein.
Vom 23. bis 25. Mai 2019 fand an der Georg-August-Universität Göttingen das vierte Arbeitstreffen des Netzwerks MMMR zum Thema „Methoden der integrativen Datenanalyse“ statt, das in Kooperation mit dem Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) sowie der Göttinger Graduiertenschule Gesellschaftswissenschaften (GGG) veranstaltet wurde. Als internationale Expertinnen nahmen Sarah Irwin (Universität Leeds) sowie Pat Bazeley (Western Sydney University) an der Veranstaltung teil. Zudem wurde erstmalig am Vortag des Netzwerktreffens eine Pre-Conference ausgerichtet, auf der Wissenschaftler*innen der Universitäten Freiburg, Kassel, Göttingen und Gießen ihre methodenintegrativen Projekte aus dem Feld der Bildungs-, Organisations- und Biographieforschung vorstellten. Hierbei wurden sowohl Kombinationen verschiedener qualitativer Verfahren (Sylvia Nienhaus, Maria Pohn-Lauggas, Lisa Gromala, Ina Alber-Armenat) als auch Mixed-Methods-Designs mit qualitativen und quantitativen Elementen (Nicolai Götze & Christian Schneijderberg, Lena Wegener & Veronika Philipps) diskutiert. Ergänzt wurde das Rahmenprogramm weiterhin durch ein Beratungsangebot für Doktorand*innen, in dem fünf Teilnehmer*innen die Gelegenheit nutzten, ihre MMMR-Projekte mit Expert*innen aus dem Netzwerk zu diskutieren.
Am 24.5. eröffnete die Keynote-Präsentation von Pat Bazeley (Western Sydney University) den zweiten Konferenztag. Bazeley stellte ein Rahmenkonzept für die methodenintegrative Datenanalyse vor, das um die Leitidee einer „purposeful interdependence“ unterschiedlicher Methoden kreist. Demnach ermöglicht MMMR idealerweise eine Form der Methodenintegration, die über eine bloße Parallelität oder Konvergenz verschiedener Datenarten bzw. Ergebnisse hinausweist, und in der die Funktionsweise der Analyseverfahren substanziell von den jeweils anderen abhängen. Für die technische Umsetzung dieser Zielsetzung wurden neben den Möglichkeiten von „Joint-Displays“ v.a. die Potentiale eines fortlaufenden, iterativen Wechsels zwischen quantitativen und qualitativen Perspektiven diskutiert. So beinhalten die meisten komplexen methodenintegrativen Analyseverfahren eine Abfolge sich ergänzender Analyseschritte, bspw. eine Quantifizierung und statistische Analyse nicht-standardisierten Interviewmaterials, deren Ergebnisse anschließend durch die Rückkehr zur interpretativen Auswertung Materials spezifiziert werden. Dabei sind Abfolge und ‚Narrativ‘ einer solchen iterativen Analysestrategie besonders zu berücksichtigen, was wesentliche Implikationen auch für den Schreibprozess mit sich bringt: Bazeley votierte für eine Strukturierung von Ergebnisberichten primär nach inhaltlichen Aspekten der Forschungsfrage, was deutliche Vorteile gegenüber der üblichen Gliederung nach methodisch-technischen Teilschritten bringe, da dies gewissermaßen zu einer inhaltlichen Synthese der methodischen Teilstränge zwinge.
Anhand anschaulicher Praxisbeispiele näherte sich Sarah Irwins (University of Leeds) Keynote der integrativen Datenanalyse als einer Methode zur Lösung von ‚Rätseln‘ empirischer Datenanalyse, die neben der Entwicklung neuer Lösungsperspektiven zugleich immer auch an der Minimierung von Validitätsbedrohungen arbeitet. Denn qualitativ-quantitative Methodenkombinationen ermöglichen häufig überhaupt erst das Aufdecken von Divergenzen und Widersprüchen im Material, zu deren Erklärung bzw. Aufhebung sie dann im Folgenden beitragen können. Eine besonders wichtige Rolle spielt dies für die Reflexion von oftmals subtilen und nicht-antizipierten Differenzen zwischen Wissenschafts- und Alltagssprache, wie Irwin anhand eines Beispiels aus dem Feld der Sozialstrukturanalyse veranschaulichte: Während standardisierte Befragungsinstrumente, die mit dem Begriff der sozialen „Klasse“ arbeiten, einen Rückgang der Bedeutsamkeit sozioökonomischer Klassifizierungen in der Selbstbeschreibung von Befragten nahelegen, zeigen qualitative Befragungsdaten, dass klassenspezifische Zuordnungen durchaus eine erhebliche Rolle für deren Selbstbild spielen, jedoch mithilfe von alltagssprachlichen Klassifikationsschemata abseits des Klassenbegriffs ausgedrückt wurden. In solchen Fällen kann MMMR zu einem entscheidenden Mittel der systematischen Reflexion einer ‚Theoriegeladenheit‘ empirischer Methoden werden und bei der Aufdeckung und Kontrolle nicht-antizipierter Bedeutungsverschiebungen dienen. Dies betrifft insbesondere die Gefahr, Forschungsgegenstände durch nicht reflektierte konzeptuelle Setzungen in der Datenerhebungs- und Analyseinstrumenten zu überformen.
Susanne Vogl (Universität Wien) widmete sich in Ihrem Keynote-Vortrag der zentralen Herausforderung integrativer Datenanalyse: Wie kann die Kombination unterschiedlicher Daten- und Analyseformen einen ‚Mehrwert‘ an Erkenntnis produzieren, der über ein bloßes Aufsummieren der Teilergebnisse hinausreicht? Als Hauptziele unterschied Vogl dabei das Erschließen von Mehrdimensionalität und Komplexität im Datenmaterial, sowie die ‚Konsolidierung‘ der dabei entdeckten Muster und Strukturen mithilfe von neu synthetisierten Analysekategorien. Diese Potentiale einer integrativen Analysestrategie, so betonte Vogl, sind dabei keineswegs auf die Kombination mehrerer Datenquellen beschränkt. Vielmehr können methodenintegrative Analyseperspektiven dabei helfen, die Multidimensionalität der Informationen innerhalb einer Datenquelle herauszuarbeiten und für die Analyse nutzbar zu machen. Als Beispiel präsentierte Vogl eine auf Transkripten aus Gruppendiskussionen basierende Studie zur Erforschung der kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten von Schulkindern. Eine Kombination quantitativer (Messung von Worthäufigkeiten, Redeanteilen, etc.) sowie qualitativer (inhaltliches Codieren von Diskussionsbeiträgen) Analyseverfahren verhalf hierbei zu einer integrierten Analyse von altersspezifischen Unterschieden, wobei aufgrund der Datenstruktur insbesondere das Zusammenspiel von Individual- und Gruppenebene berücksichtigt werden konnte. Auf der Basis von einer solchen „Mixed Analysis“, so argumentierte Vogl, wird somit auch ein differenzierterer Umgang mit der häufig reduktionistisch gebrauchten Unterscheidung qualitativer und quantitativer Daten möglich.
Johannes Schmitt, Evaluator am Deutschen Evaluierungsinstitut der Entwicklungszusammenarbeit (DEval), präsentierte am dritten Konferenztag methodologisch-konzeptuelle Arbeiten aus dem Feld der methodenintegrativen Evaluationsforschung. Hierbei stand insbesondere der Begriff des ‚kausalen Mechanismus‘ und dessen Relevanz für Design und Analyse theoriebasierter Impact-Evaluationen im Vordergrund. Die Güte kausaler Erklärungen hängt demnach von der Ergänzung einer rein input- und outcome-orientierten Perspektive um detaillierte Analysen der verbindenden Prozesse zwischen beiden Teilen einer jeweils untersuchten Intervention ab. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Möglichkeiten experimenteller Designs eingeschränkt sind, wie es im Feld der internationalen Entwicklungszusammenarbeit häufig der Fall ist. An dieser Stelle werden Kombinationen qualitativer Detailanalysen und quantitativer Zugänge besonders relevant, die im englischsprachigen, vorwiegend politikwissenschaftlichen Diskurs um „Multimethod Research“ extensiv behandelt werden. Da trotz inhaltlicher Überschneidungen das Konzept des kausalen Mechanismus in der stärker bildungs- und gesundheitswissenschaftlich orientierten Mixed-Methods-Literatur bislang wenig Resonanz findet, ergaben sich hier auch Gelegenheiten zur Diskussion und Verknüpfung unterschiedlicher Varianten und Strömungen des methodologischen Diskurses um Methodenintegration. Am Beispiel eines am DEval aktuell in Planung befindlichen Forschungsdesigns wurden die Stärken und Schwächen unterschiedlicher qualitativer und quantitativer Verfahren bei der Evaluation von entwicklungspolitischen Programmen erörtert.
Neben den beschriebenen Keynote-Vorträgen und Präsentationen wurde das Netzwerktreffen zudem intensiv genutzt, um aktuelle Publikations- sowie Vernetzungsprojekte zu diskutieren. Hierbei stand u.a. die in Planung befindliche Gründung eines Arbeitskreises zum Thema Mixed Methods und multimethodische Forschung in der Deutschen Gesellschaft für Soziologie im Fokus.
Letzte Änderung: 5. Juni 2019