Willkommen auf der Website der „Gut zu wissen!“-Studie (ICPT-M)
Informierte Einwilligung (Informed Consent) bei Psychotherapie: Modulerweiterung (ICPT–M-Studie)
Mit unserer „Gut zu wissen!“-Studie konnten wir zeigen, dass das von uns entwickelte optimierte Aufklärungsgespräch in der Psychotherapie Patient:innen dabei unterstützen kann, optimal auf eine Therapie vorbereitet zu sein, positive Erwartungen an die Therapie zu steigern und Entscheidungskonflikte zu minimieren.
Nun möchten wir im Rahmen der Modulerweiterung zu der „Gut zu wissen!“-Studie untersuchen, wie die Einwilligungsfähigkeit von Patient:innen im Kontext einer Psychotherapie zuverlässig gemessen und eingeschätzt werden kann. Die Einwilligungsfähigkeit gibt Aufschluss darüber, ob Patient:innen ihre Diagnose und die Psychotherapie verstehen, ob sie nachvollziehen können, was die Folgen der Entscheidung für oder gegen eine Psychotherapie wären und ob eine Entscheidung ihrerseits überhaupt getroffen werden kann.
- Was muss ich wissen, damit ich entscheiden kann, ob eine Psychotherapie das Richtige für mich ist?
- Was brauche ich, damit ich mit einem guten Gefühl eine Therapie beginnen kann?
Dies sind Fragen, die wir beantworten möchten. Daher haben wir ein neues Interview entwickelt, mit dem wir Ihre Einwilligungsfähigkeit zur Psychotherapie erfassen möchten. Darauf aufbauend möchten wir überprüfen, ob dieses Interview gut und zuverlässig funktioniert und so eine objektive Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit ermöglicht.
Das ICPT-M-Studienteam
Die ICPT-M-Studie wird unter Leitung von Prof. Dr. Yvonne Nestoriuc an der Helmut-Schmidt-Universität in Kooperation mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf und der Universität Basel in der Schweiz durchgeführt. Umgesetzt wird die Studie von den wissenschaftlichen MitarbeiterInnen Leonie Gerke (M.Sc. Psychologie) und Sönke Ladwig (M.Sc. Psychologie). Die Arbeit an der ICPT-M-Studie im Studienzentrum Schweiz findet unter der Anleitung von PD Dr. Dr. Manuel Trachsel statt.
Sie erfüllen die Voraussetzungen einer Teilnahme an der ICPT-M-Studie, sofern Sie…
- …Interesse haben, eine ambulante Psychotherapie zu beginnen, oder bereits an probatorischen Sitzungen zu Beginn einer Psychotherapie teilnehmen
- …das Mindestalter von 18 Jahren erreicht haben.
- …über ein internetfähiges Endgerät mit Kamera und Mikrofon sowie einen Email-Account verfügen.
In folgenden Fällen ist leider keine Teilnahme möglich:
- Bei einer aktuellen Inanspruchnahme ambulanter oder (teil-)stationärer Psychotherapie über die Probatorik hinaus
Studienablauf
Die Untersuchung besteht aus bis zu zwei videobasierten Online-Studienterminen im Abstand von zwei Tagen. Die Anzahl der Online-Studientermine hängt davon ab, ob Sie bereits eine aktuelle Diagnose psychischer Störungen erhalten haben. Insgesamt dauert die Untersuchung ca. 45 – 100 Minuten. Die ICPT-M-Studie findet ausschließlich online statt, d.h. Sie können bequem von zuhause an der Studie teilnehmen.
Sofern Sie die Einschlusskriterien erfüllen und Ihre Einwilligungen zur Studienteilnahme, einer zugehörigen Tonaufnahme gegeben haben und im Anschluss an die Einwilligungserklärung keine aktuellen Diagnosen über psychische Störungen angeben, nehmen Sie, am 1. Online-Studientermin, zunächst an einem videobasierten klinischen Interview teil. Das klinische Interview zur Diagnostik psychischer Störungen wird von einem geschulten Studienpsychologen bzw. einer geschulten Studienpsychologin mit Bachelorabschluss durchgeführt und dient zur Einschätzung, ob eine Psychotherapie zur Linderung Ihrer Beschwerden geeignet ist und ein Studieneinschluss möglich ist. Im Anschluss an das klinische Interview eine Informationsbroschüre zur Psychotherapie per E-Mail zur Verfügung gestellt, die auf freiwilliger Basis bis zum nächsten Studientermin studiert werden kann. Der 1. Online-Studientermin dauert in Abhängigkeit der Dauer des individuellen klinischen Interviews ca. 50 – 95 Minuten.
Teilnehmer:innen, die bereits eine aktuelle Diagnose(n) über psychische Störungen durch eine behandelnde Psychotherapeut:in oder Ärzt:in erhalten haben, nehmen nicht am 1. Online-Studientermin teil und erhalten direkt im Anschluss an die Einwilligungserklärung und den Diagnose- und Anbindungscheck die Informationsbroschüre zur Psychotherapie per E-Mail zugeschickt, die auf freiwilliger Basis bis zum nächsten Online-Studientermin studiert werden kann.
Der 2. Online-Studientermin findet ca. 2 Tage nach dem letzten Gespräch statt und dauert ca. 25 Minuten. Teilnehmer:innen erhalten zunächst eine Kurzinformationen zum Störungsbild und zu Behandlungsmöglichkeiten und beantworten im Anschluss ca. 2-5 Minuten eine schriftlichen Online-Befragung. Abschließend nehmen alle Teilnehmer:innen an einem ca. 20-minütigen videobasierten Interview teil. Dieses Interview wird von Ihrem Studienpsychologen bzw. Ihrer Studienpsychologin, durchgeführt. Für die spätere Auswertung wird eine Tonaufnahme dieses Interviews erstellt.
Ihr Nutzen
Sind Sie sich noch unsicher, ob eine Psychotherapie das Richtige für Sie ist?
Fragen Sie sich, was Ihre persönlichen Konsequenzen bei der Entscheidung für oder gegen eine Psychotherapie sein könnten?
Bei Teilnahme an der Studie erwartet Sie ein Interview zur Einschätzung über das Ausmaß Ihrer Einwilligungsfähigkeit in Bezug auf eine Psychotherapie – also die Fähigkeit, Sachverhalte zu verstehen, Informationen zu verarbeiten und angemessen zu bewerten und den eigenen Willen zu bestimmen. Zudem erhalten Teilnehmer:innen, bei denen noch keine klinische Diagnostik durchgeführt wurde, eine professionelle klinische Diagnostik (SCID-5) im Rahmen der Studienteilnahme und Ansatzpunkte für eine weiterführende diagnostische Abklärung bei aktuellen oder zukünftigen Behandler*innen (z.B. Ihr/Ihre Hausärzt*in oder Ihr/Ihre Psychotherapeut*in) zu erhalten. Mit Ihrer Studienteilnahme leisten Sie außerdem einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag zur Forschung im Bereich der Aufklärung von Patient*innen.
Ethische und rechtliche Notwendigkeit der Aufklärung
Nach dem Patientenrechtegesetz der Bundespsychotherapeutenkammer ist jede:r Psychotherapeut:in rechtlich dazu verpflichtet, Patient*innen zu Beginn der Behandlung umfassend über „Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahmen, ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit und Eignung sowie Erfolgsaussichten“ aufzuklären (§ 630, BGB, Patientenrechtegesetz). Diese Aufklärung stellt eine der Grundlagen des Patienten/ der Patientin dar, autonom in die psychotherapeutische Behandlung einzuwilligen, aber auch den Behandlungsverlauf aktiv zu beeinflussen („Wissen ist Macht“). Aufklärung, Freiwilligkeit und Einwilligungsfähigkeit bilden die drei Kriterien für eine gültige informierte Einwilligung (informed consent).
Einordnung der Studie zur Einwilligungsfähigkeit
Grundlegend für die informierte Einwilligung ist die vorliegende Einwilligungsfähigkeit der Patient:innen in die therapeutische Maßnahme (1). Zu den Schlüsselbereichen der Einwilligungsfähigkeit gehört die Fähigkeit von Patient:innen, a) ihre Diagnose und die vorgeschlagene Behandlung hinreichend zu verstehen („Verständnisfähigkeit“), b) sowohl die Existenz seiner/ihrer Krankheit als auch die Notwendigkeit einer Behandlung anzuerkennen („Einschätzungsfähigkeit“), c) die Informationen im Hinblick auf seine/ihre aktuelle Situation, Werte und Interessen zu verstehen und mögliche Konsequenzen abzuwägen („Urteilsfähigkeit“) und d) verbal oder nonverbal eine klare Entscheidung auf der Grundlage der vorgenannten Bereiche zu treffen („Entscheidungsfähigkeit“) (2,3).
In der Praxis zeigt sich jedoch, dass die informierte Einwilligung nicht routinemäßig umgesetzt wird, Psychotherapeut:innen inhaltlich heterogen aufklären und die Einwilligungsfähigkeit der Patient:innen meist unstandardisiert und indirekt einschätzen (4). Obwohl dieses Vorgehen ökonomisch erscheint, so bleibt die Zuverlässigkeit einer solchen subjektiven Einschätzung fraglich (5). Mit dieser Studie möchten wir das von uns neu angepasste Interview als Mittel der Wahl zur objektiveren Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit untersuchen.
Funktionalität der Aufklärung
Die Einbeziehung der Patient*innen in die Behandlungsentscheidung und des Diskurses von Behandlungsalternativen wurden bereits in Studien untersucht, die sich mit partizipativer Entscheidungsfindung befassen. Partizipative Entscheidungsfindung bedeutet, dass mindestens Behandler:in und Patient:in an der Behandlungsentscheidung beteiligt sind, ein beidseitiger Informationsaustausch sowie eine Konsensbildung bzgl. der Wahl einer Behandlungsoption stattfindet und eine Vereinbarung geschlossen wird, diese Option durchzuführen (6). Vorteile dieses Vorgehens umfassen die Verbesserung von Motivation, Patientenzufriedenheit und Therapieergebnissen von Patient:innen mit psychischen Erkrankungen (7).
Quellen
(1) Vollmann, J. (2008). Patientenselbstbestimmung und Selbstbestimmungsfähigkeit: Beiträge zur klinischen Ethik. Kohlhammer Verlag.
(2) Lamont-Mills, A., Christensen, S., & Moses, L. (2018). Confidentiality and informed consent in counselling and psychotherapy: a systematic review. PACFA.
(3) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (2014). Achtung der Selbstbestimmung und Anwendung von Zwang bei der Behandlung psychisch erkrankter Menschen: Eine ethische Stellungnahme der DGPPN. Der Nervenarzt(11).
(4) Trachsel, M. & grosse Holtforth, M. (2019). How to strengthen patients’ meaning response by an ethical informed consent in psychotherapy. Frontiers in psychology, 10.
(5) Raymont, V., Bingley, W., Buchanan, A., David, A. S., Hayward, P., Wessely, S., & Hotopf, M., (2004). Prevalence of mental incapacity in medical inpatients and associated risk factors: cross-sectional study. The Lancet, 364(9443), 1421–1427.
(6) Blease, C., Kelley, J. M. & Trachsel, M. (2017). Informed consent in psychotherapy: Implications of evidence-based practice. Journal of Contemporary Psychotherapy. 48(2): 69–78.
(7) Charles, C., Gafni, A. & Whelan, T. (1997). Shared decision-making in the medical encounter: what does it mean?. Social Science and Medicine; 44:681–92.
INCOPT – Studie
Zielsetzung: Ziel der Informed Consent for Psychotherapy – Studie (INCOPT) war es, die Einstellungen von Psychotherapeut:innen sowie von Ausbildungskandidat:innen und ihre derzeitige Praxis in Bezug auf die informierte Einwilligung zur Psychotherapie zu bewerten. Hierfür nahmen insgesamt 530 Kliniker aus Deutschland (418 zugelassene Psychotherapeut:innen und 112 in Ausbildung befindliche Psychotherapeut:innen) an einer Online-Umfrage teil.
Ergebnisse: Die meisten Kliniker (84 %) gaben an, dass die Einholung einer informierten Einwilligung ihrer Patient:innen zu ihrer täglichen Routine gehört. Über die Hälfte der Psychotherapeut:innen fühlte sich jedoch nicht sicher, ob sie die rechtlichen und ethischen Verpflichtungen zufriedenstellend erfüllen. Die beiden am häufigsten genannten Komponenten der Aufklärung waren die Erläuterung der Rahmenbedingungen der Psychotherapie (96 %) und des psychotherapeutischen Ansatzes (91 %). Informationen über die Wirkungsmechanismen der Psychotherapie (33 %) und die Rolle der Erwartungen (30 %) wurden am wenigsten praktiziert. Einer von fünf Psychotherapeut:innen gab an, die Patient:innen nicht über mögliche Risiken und Nebenwirkungen zu informieren. Ein beträchtlicher Anteil der Befragten gab an, dass sie befürchteten, bei den Patienten Ängste auszulösen, wenn sie über Risiken und Nebenwirkungen aufklärten (52 %).
Schlussfolgerungen: Obwohl die Einholung einer informierten Einwilligung zur Psychotherapie in der klinischen Praxis eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheint, bleibt die Qualität ihrer Umsetzung im Hinblick auf die rechtlichen, ethischen und klinischen Anforderungen fraglich. Die Schulung von Psychotherapeut:innen in adäquater Aufklärung ermöglicht eine informierte Entscheidungsfindung und könnte sich positiv auf die Erwartungen an die Behandlung und die Behandlungsergebnisse auswirken.
Die INCOPT-Veröffentlichung finden Sie hier.
ICPT – Hauptstudie
Zielsetzung: Aus rechtlicher und ethischer Sicht erfordert die Psychotherapie eine informierte Einwilligung. Die Auswirkungen der Vorgehensweise bei der informierten Einwilligung auf die Ergebnisse und die Entscheidungsfindung in der Psychotherapie sind jedoch noch nicht experimentell untersucht worden. Mit der ICPT-Studie wollten wir die Wirksamkeit und Sicherheit eines optimierten Aufklärungsgespräches in der Psychotherapie untersuchen. Hierfür führten wir von August 2021 bis Dezember 2022 eine randomisierte kontrollierte Online-Studie durch, die eine zweiwöchige Behandlung und eine dreimonatige Nachbeobachtung umfasste. Insgesamt wurden für unsere Studie 205 potenzielle Teilnehmer:innen per Telefon angefragt. 122 Erwachsene mit psychischen Störungen, deren Diagnosen durch ein strukturiertes klinisches Interview gestellt wurden, wurden in unsere Studie eingeschlossen.
Intervention: Eine Hälfte der Teilnehmer:innen erhielten eine Informationsbroschüre über Psychotherapie zum Selbststudium und die andere Hälfte zusätzlich noch ein optimiertes Aufklärungsgespräch, wo wir die Strategien Erwartungsmanagement, Kontextualisierung, Framing und gemeinsame Entscheidungsfindung eingesetzt haben.
Ergebnisse: Bei der 2-wöchigen Nachbeobachtung zeigten die Teilnehmer:innen, die optimiertes Aufklärungsgespräch erhielten, signifikant positivere Behandlungserwartungen als diejenigen, die nur die Informationsbroschüre erhielten. Ebenso wirkte sich Aufklärungsgespräch positiv auf die Motivation, die Adhärenzabsicht, verringerte Entscheidungskonflikte, den Wissenszuwachs, die Einwilligungsfähigkeit und eine höhere Zufriedenheit mit den erhaltenen Informationen im Vergleich zu bloßen Informationsbroschüre aus. Hinsichtlich der erwarteten unerwünschten Wirkungen der Psychotherapie ergaben sich keine statistisch signifikanten Gruppenunterschiede. Die Ergebnisse blieben auch mittelfristig bei der 3-monatigen Nachbeobachtung bestehen.
Schlussfolgerungen: Die Erläuterung in einem kurzen Aufklärungsgespräch darüber, wie eine Psychotherapie wirkt, stärkte bei den Studienteilnehmer:innen wirksam eine Vielzahl positiver Faktoren im Hinblick auf Psychotherapie (z.B. die Behandlungserwartungen und die Entscheidungsfindung). Dabei ist in weiteren Studien noch zu klären, ob diese positiven Effekte auch in der Behandlungspraxis zu tatsächlich besseren Behandlungsergebnissen in der Psychotherapie führen.
Die Präregistrierung der ICPT-Studie finden Sie hier.
Die Veröffentlichung des ICPT-Studienprotokolls finden Sie hier.
Die Veröffentlichung der ICPT-Studienergebnisse finden Sie hier.
Die zugehörigen Daten der ICPT-Studie finden Sie hier.
Möchten Sie teilnehmen? Dann kontaktieren Sie uns gerne telefonisch oder via E-Mail.
Kontakt:
Helmut-Schmidt-Universität (HSU)/ Universität der Bundeswehr
Professur für Klinische Psychologie (H4 – 2. Stock)
Holstenhofweg 85
22043, Hamburg
E-Mail: [email protected]
Telefon: 0160 9229 7147
Letzte Änderung: 13. September 2024