Eine „blonde Revolution“? Umweltgeschichte von Hybridmaisanbau in Deutschland und Frankreich (1945–1992)

Unsplash License, Foto von Mohit Kumar

Margot Lyautey

Wenn man an Mais denkt, stellt man sich in der Regel die kleinen gelben Körner vor, die auf Salat kommen, oder das Popcorn im Kino. Aber die menschliche Ernährung ist nur ein kleiner Teil der Verwendung von Mais. Heutzutage wird Mais in Europa zu über 80% als Tierfutter angebaut. In dieser Hinsicht ist Mais der Grundpfeiler unserer modernen westlichen Ernährung, in der Tierprodukte eine größere Rolle spielen als je zuvor. Da Mais eine Kulturpflanze mit hohen Hektarerträgen ist, die auf verschiedenen Bodentypen wächst und einen hohen Energiegehalt aufweist, war er der Schlüssel für den Wandel der europäischen Ernährung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. In diesem Schlüssel kristallisieren sich die Umweltprobleme der modernen intensiven Landwirtschaft in vollem Umfang heraus, ob man nun an Konflikte um die Wassernutzung, die Umweltverschmutzung durch Pestizide, die Einfuhr von Soja und Raps aus abgeholzten Wäldern zur Ergänzung der Maisrationen oder an Hyperspezialisierung der Nutztiere denkt.

Mais ist keine in Europa heimische Pflanze, sondern stammt aus Mittelamerika. Zwar wurde er in der frühen Neuzeit allmählich von Amerika nach Europa akklimatisiert, doch blieb der Maisanbau bis ins 20. Jahrhundert auf den Süden des Kontinents beschränkt: Portugal, Spanien, Südfrankreich, Italien, die Balkanländer, Rumänien, Bulgarien und bis in die Türkei. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in der europäischen Landwirtschaft (und insbesondere im Norden des Kontinents) zu einer regelrechten „blonden Revolution“: so nennt man in Frankreich die massive und schnelle Einführung von Mais als Futtermittel in den 1960er und 1970er Jahren. In nur wenigen Jahrzehnten hat Mais einen sehr wichtigen Platz auf den ländlichen Böden Europas eingenommen und macht heute in Deutschland und den Niederlanden mehr als 20 % der Ackerflächen aus.

Ein beeindruckender Übergang, der nicht zuletzt auf außereuropäische Einflüsse und Projekte zurückzuführen ist (US-amerikanische im Rahmen des Marshall-Plans und später der „Grünen Revolution“ oder sowjetische mit Chruschtschows „Kreuzzug für den Mais“). Es ist diese bedeutende Entwicklung der europäischen Agrarproduktion die ich in diesem Forschungsprojekt untersuchen möchte, in ihren ökologischen, wirtschaftlichen, sozialen und geopolitischen Dimensionen.

Rahmen der Untersuchung

Der untersuchte Zeitraum läuft von Mitte der 1940er Jahre bis Anfang der 1990er Jahre. Diese Jahre entsprechen einem Quantensprung in Bezug auf die Maisanbauflächen in Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik. Dieser Zeitraum fällt de facto mit den chronologischen Grenzsteinen des Kalten Krieges zusammen.

Europa erscheint im betrachteten Zeitraum zwischen zwei Einflusssphären gefangen. Einerseits die USA, die historisch gesehen immer führend im Anbau von Hybridmais waren: Der Marshallplan lieferte Tonnen von Hybridmais für die Nahrungsmittelhilfe in Deutschland, US-Saatgut wurde nach Europa geschickt, um angepasste Sorten zu entwickeln. Andererseits führte ein zweiter Weg nach Europa über die Sowjetunion, wo Nikita Chruschtschow ab 1954 seinen „Kreuzzug für den Mais“ startete. Die Untersuchung der Zirkulationen innerhalb Europas wird also weitgehend offen bleiben für den Austausch mit den USA und der Sowjetunion. Während Verbindungen innerhalb der beiden Blöcke erwartet werden, hat das Projekt insbesondere zum Ziel, den undurchlässigen Charakter des sogenannten „Eisernen Vorhangs“ neu zu überdenken, indem es den Anbau von Hybridmais als Fokus nimmt.

Darüber hinaus ist die Landwirtschaft eine produktive Tätigkeit mit eminent lokalen Dimensionen. Um die ökologischen, technischen, sozioökonomischen und geopolitischen Dimensionen des Themas gemeinsam zu erfassen, möchte ich verschiedene Analysenebene kombinieren und miteinander verknüpfen: vom kontinentalen bis zum ganz lokalen. Die Idee ist, einen transnationalen Fokus auf Nordwesteuropa (Frankreich, BRD und DDR) zu legen, gekoppelt mit regionalen Fallstudien, die in spezifischen sozio-ökologischen Rahmenbedingungen verankert sind: Béarn, zwei Viehzuchtgebiete im Westen Frankreichs in der Bretagne und der Normandie, die Region um Bremen, ein noch zu bestimmendes landwirtschaftliches Gebiet in der ehemaligen DDR.

Das Projekt beruht auf der Analyse von Archivquellen und gedruckten Quellen (öffentliche Quellen und Archive von Unternehmen der Agrarindustrie), die durch Interviews (insbesondere mit ehemaligen Maisbauern und -bäuerinnen) ergänzt werden. Diese Vielfalt an Quellen ermöglicht den Zugang zu den unterschiedlichen Räumen der Wissensproduktion über Mais. Ich denke hier an akademisches Wissen, wissenschaftliches Wissen, das von agroindustriellen Firmen produziert wird, Wissen, das durch die landwirtschaftliche Praxis auf den Bauernhöfen produziert wird, und administratives Wissen. Ein wiederkehrendes Problem der ländlichen Geschichte ist die Schwierigkeit, Zugang zu den Veränderungen auf den Höfen zu erhalten, und die Interviews können in gewissem Maße eine Aporie der öffentlichen Archive lösen, in denen die Landwirte und Landwirtinnen oft abwesend sind.

Forschungsschwerpunkte

Das Forschungsprojekt ist an der Schnittstelle von Umweltgeschichte, Wissensgeschichte und zeitgenössischer europäischer Politik- und Wirtschaftsgeschichte angesiedelt und ist um drei Forschungsschwerpunkten gegliedert. Im ersten Schwerpunkt „Wissenszirkulation im Bereich der Viehfütterung“ möchte ich eine transnationale Geschichte der Silagetechniken  (Konservierung durch Fermentation) und der rationellen Fütterung  vorschlagen, die auf die neue Rolle des Mais im betrachteten Zeitraum achtet, aber auch auf die Zirkulation von Wissen zwischen verschiedenen geografischen Räumen und innerhalb der landwirtschaftlichen Wertschöpfungskette (Bauernhof, Fabrik, Universitäten, Verwaltung…). Der zweite Schwerpunkt, „Hybridmais als Grundpfeiler der Intensivierung der Landwirtschaft Europas während des Kalten Krieges“, schlägt vor, die Geschichte Europas im Kalten Krieg durch die Linse des Maises neu zu lesen, indem einerseits die verschiedenen nationalen Strategien  bei der Sortenauswahl von Hybridmais analysiert werden (zwischen Kooperation und Konkurrenz), andererseits die europäischen Verhandlungen um die GAP erneut untersucht werden sowie die politische Semantik, die der Mais auf beiden Seiten des Kontinents mit sich bringt, hinterfragt wird. Der letzte Schwerpunkt „Auswirkungen auf ländliche Ökosystemen und landwirtschaftliche Praktiken“ hinterfragt die Umweltauswirkungen vom neuen Maisanbau in den Bauernhöfen rund um die Verschmutzung (Pestizide, Düngemittel, potenzielle Störung der Wasserkreisläufe), die Veränderungen der Landschaften sowie die Entwicklungen der täglichen Arbeit auf den Höfen und der Architektur von dieser.

HSU

Letzte Änderung: 12. März 2024