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Dominik Merdes
Biogramm
Nach einem Studium der Pharmazie studierte ich Literaturwissenschaft sowie Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte. Während der Arbeit an meiner Dissertation (2013–2018), die von Bettina Wahrig betreut wurde, setzte ich mich an der Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte der TU Braunschweig kritisch mit der Arzneimittelgeschichte auseinander. In diesen Prozess flossen meine in verschiedenen öffentlichen Apotheken gemachten Erfahrungen ein, wo ich währenddessen in Teilzeit angestellt war. Meine 2019 unter dem Titel „Die Produktion eines Pharmakons – Eine Kartographie der Kala-Azar und der Antimonialien“ erschienene Doktorarbeit widmet sich der Geschichte der Parasitose Kala-Azar und der Arzneimittelgruppe der Antimonialien, die zu den frühen Produkten der modernen Chemotherapie zählen. Der dieser Arbeit zu Grunde liegende kartographische Ansatz baut unter anderem auf dem Konzept des maschinischen Gefüges der Philosophen Gilles Deleuze und Félix Guattari, feministischer Wissenschaftskritik und postkolonialer Theorie auf. Aus dieser Perspektive erscheinen die Antimonialien und die Chemotherapie weniger als europäische Errungenschaften denn als Produkte eines komplexen Gefüges, welches diverse Agent_innen umfasste und sowohl in europäischen Laboren als auch in kolonialen Räumen wirkte. In meiner postdoktoralen Forschung setze ich meine Auseinandersetzung mit den sogenannten Tropenkrankheiten fort. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Materialitäten medizinischer Kultur in/zwischen Europa und Ostasien“ untersuche ich die Geschichte parasitologischer Praktiken in Südchina, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts an einen vergleichsweise heterogenen, zerstreuten Wissensraum gebunden waren. Außerdem beschäftigte ich mich mit Beziehungen zwischen Kolonialität und antiinfektiven Arzneimitteln.
Forschungsschwerpunkte:
- Arzneimittelgeschichten und Arzneimittelmaterialisierungen
- Geschichte der Tropenmedizin
- Verflechtungsgeschichte
- Feministische Kritik naturwissenschaftlicher Erkenntnisraster
- Postkoloniale Perspektiven auf die Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte
Seit 8/2024
wissenschaftlicher Mitarbeiter Professur für Wissensgeschichte moderner Gesellschaften, Helmut-Schmidt-Universität Hamburg
Seit 9/2023
Libertas-Apotheke, Berlin, angestellt als Apotheker
1/2023 – 7/2023
Visiting Scholar, Institute of History and Philology, Academia Sinica, Taipeh
2/2022 – 1/2023
Libertas-Apotheke, Berlin, angestellt als Apotheker
12/2019 – 2/2020
Forschungsaufenthalt China (Shanghai, Guangzhou)
seit 3/2019
Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte, Technischen Universität Braunschweig, wissenschaftlicher Mitarbeiter, DFG-Projekt Materialities of Medical Cultures In/between Europe and East Asia
2/2017 – 2/2019
Teilnahme am Forschungsprojekt A Cultural History of Drugs im Rahmen von Material Cultures of Knowledge
7/2018
Promotion zum Dr. rer. nat.
1/2017 – 2/2019
Libertas-Apotheke, Berlin, angestellt als Apotheker
1/2015 – 12/2016
Brunswiek Apotheke, Berlin, angestellt als Apotheker
10/2014 – 11/2014
Forschungsaufenthalt in Delhi, Kolkata und Guwahati
8/2013 – 11/2013
Stipendiat am Deutschen Historischen Institut London
2/2013 – 7/2018
Promotion an der Abteilung für Geschichte der Naturwissenschaften mit Schwerpunkt Pharmaziegeschichte der Technischen Universität Braunschweig bei Frau Professorin Bettina Wahrig
12/2011 – 12/2014
Straussen-Apotheke, Hattingen/Ruhr, angestellt als Apotheker
12/2011
3. Staatsexamen Pharmazie und Approbation zum Apotheker
10/2011 – 9/2012
Promotionsvorbereitungsprogramms Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte, Technische Universität Braunschweig
10/2010 – 9/2011
Studium Geschichte und Literaturwissenschaft, Fernuniversität Hagen
10/2006 – 09/2010
Studium der Pharmazie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Buch
Merdes, Dominik. (2019). Die Produktion eines Pharmakons. Eine Kartographie der Kala-Azar und der Antimonialien, Stuttgart: Deutscher Apotheker Verlag.
Zeitschriftenartikel
Merdes, Dominik; Wahrig, Bettina. (erscheint 2024). „Introduction. Drugs and Medical Knowledge from the In/between“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Vol. 46.
Merdes, Dominik. (erscheint 2024). „Western Anthelmintics in Early 20th Century China. Colonial Practices and Knowledge on ‘Tropical Diseases’ of the In-between“, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte, Vol. 46.
Merdes, Dominik. (2023). „Die zerstreute Genese der Antimonialien. (Post)koloniale Verwicklungen der ‚vernachlässigten Tropenkrankheiten‘ und ihrer Therapie am Beispiel der Kala-Azar und der Schistosomiasis“, fzg, Vol. 29.
Merdes, Dominik. (2019). „Medical Missions at the Fringes of Empire“, Journal of the Social History of Medicine and Health, Vol. 4, No. 2, S. 79–102. (Mandarin)
Merdes, Dominik. (2014). „Co-constitutive Relationships in Modern Medicine – Körper-Werden um die Geburtsstunde der modernen Chemotherapie“, Body Politics, Heft 4, S. 329–364.
Rezenzionen
Merdes, Dominik. (2023). Rezension zu: Rheinberger, Hans-Jörg; McLaughlin, Peter. (2021). Ordnung und Organisation. Begriffsgeschichtliche Studien zu den Wissenschaften vom Leben im 18. und 19. Jahrhundert, Rangsdorf: Basilisken-Presse, in: H-Soz-Kult, 10.01.2023, URL: www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-132482.
Merdes, Dominik. (2022). Rezension zu: Anagnostou, Sabine; Retzar, Ariane (Hg.) (2019). Facetten der Pharmaziegeschichte. Festschrift für Christoph Friedrich zum 65. Geburtstag, History of Pharmacy and Pharmaceuticals, Vol. 64, S. 205–207.
Weitere Beiträge
Merdes, Dominik; Messerich, Helena; Wahrig, Bettina. (2021). „Apotheken mit dem Wort ,Mohr‘ im Namen. Zur Sammlung von Dokumenten zur Geschichte von Apotheken mit dem Wort ,Mohr‘ im Namen und anderen Apothekennamen mit Afrikabezug“, Rundbrief des Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP), Vol. 33, No. 110, S. 20–21. Messerich, Helena; Merdes, Dominik. (2020). „Mohrenapotheke. Mehr als nur ein Name?“, DAZ, Vol. 165, No. 51, S. 51–52.
Meine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Parasitologie und der sogenannten „Tropenmedizin“ sowie die Verknüpfungen zwischen Arzneimittelgeschichte und Kolonialität (Quijano/Mignolo/Lugones). Die Parasitologie war ein wichtiger Pfeiler der „Tropenmedizin“, die sich im späten 19. Jahrhundert institutionalisierte. Die Bezeichnung „Tropenmedizin“ verweist auf koloniale Strukturen, die Krankheitsauffassungen bis heute prägen. In dieser untypischen Kategorisierung – gewöhnlich wurden Krankheiten nach ihrem Ort im menschlichen Körper oder ihrer Genese eingeteilt – materialisierten sich orientalisierende Zuschreibungen. In meiner Forschung gehe ich der Frage nach, wie sich Kolonialismen und Imperialismen des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts mit der westlichen akademischen Medizin verflochten haben. Parasitologische Praktiken werden dabei nicht als passive „Tools of Empire“ (Headrick) betrachtet. Vielmehr resultierten sie – auch wenn sie im Endeffekt nicht selten die Funktion eines „Tool of Empire“ erfüllten – aus heterogenen, oft widersprüchlichen Gefügen. Mein besonderes Interesse gilt hier der Parasitologie in Südchina, die einen sehr verstreuten Forschungsraum bildete. In der komplexen politischen Situation nach den Opiumkriegen waren neben Ärzten des Imperial Maritime Customs Service und Kolonialärzt_innen besonders Missionsärzt_innen in die Forschung involviert. Unter Rückgriff auf die historische Epistemologie und Hans-Jörg Rheinbergers Konzept des Experimentalsystems versuche ich zu verstehen, wie in Südchina aus einem verstreuten Forschungsgefüge heraus Wissen zu parasitologischen Krankheitserregern, beispielsweise Würmern, und deren Therapie entstand. Aufgrund der losen Zusammenhänge des Gefüges erweist es sich hierbei als sinnvoll, das Konzept des Experimentalsystems zu reformulieren und von wissensgenerierenden Strukturen zu sprechen. Für andere koloniale Forschungssituationen ist zu prüfen, ob ihnen ähnliche Funktionsweisen zu Grunde lagen. Auf diese Weise wird ein besseres Verständnis darüber angestrebt, wie sich die westliche akademische Medizin und weitere epistemische Strukturen, an die sie gekoppelt war, in unterschiedlichen semi/post/kolonialen Situationen verbreitete.
Die Tropenmedizin steht in direktem Zusammenhang mit meinem zweiten Forschungsschwerpunkt, der Verflechtung von Arzneimittelgeschichte und Kolonialität. Besonders interessiere ich mich für antiinfektive, gegen parasitäre und bakterielle Krankheitserreger gerichtete, Arzneimittel. Unter den imperialen Technologien, die Daniel Headrick in seinem Buch The Tools of Empire auflistet, findet sich mit dem Chinin auch ein Arzneistoff, der mit der Beschreibung des Malariaerregers im späten 19. Jahrhundert zu einem Antiparasitikum wurde. Im frühen 20. Jahrhundert traten synthetische chemotherapeutische Arzneimittel, die zur Behandlung verschiedener Infektionskrankheiten eingesetzt wurden, an seine Seite. Der bekannteste Vertreter der Arzneimittelgruppe der Chemotherapeutika ist sicherlich das eng mit dem Namen Paul Ehrlich (1854–1915) verbundene Salvarsan. Als gezielt gegen Mikroorganismen gerichtete „Zauberkugel“ – ein Konzept das Ehrlich selbst prägte – fand es vor allem als Syphilistherapeutikum Verwendung. Das Salvarsan gehörte zu den organischen Arsenverbindungen. Daneben waren organische Antimonverbindungen, die Antimonialien, deren Geschichte ich in meiner Dissertation erforscht habe, wichtige Vertreter der frühen Chemotherapie. Am Beispiel der Antimonialien konnte ich aufzeigen, wie eng die Chemotherapie, ihre Produktionsprozesse und Konzepte, die heutige Vorstellungen von Arzneimittelwirkungen entscheidend geprägt haben, mit dem Kolonialismus verwoben war. Antimonialien wurden zur Behandlung der Parasitose Kalar-Azar, die auf assamesischen Teeplantagen im Südosten Britisch-Indiens auftrat, und, unter anderem in Ägypten und China, zur Behandlung der Wurmerkrankung Schistosomiasis eingesetzt. Hier interessiert mich ihre konkrete Anwendung, beispielsweise durch Kolonialärzt_innen in Britisch-Indien oder durch Missionsärzt_innen in China, und die Rückwirkungen auf die Arzneimittelproduktion.
In meiner aktuellen Forschung verfolge ich die Verflechtungen zwischen Arzneimitteln und Kolonialität noch weiter zurück, indem ich pflanzenbasierte Arzneistoffe in den Blick nehmen. Für das 18. Jahrhundert hat Londa Schiebinger beschrieben, wie die westliche Botanik in kolonialen Räumen Pflanzen und Wissen aneignete, um daraus Profit zu schlagen. Dies nennt sie „koloniales Bioprospecting“. Das koloniale Bioprospecting betraf auch Arzneipflanzen, die (später) gegen parasitäre und bakterielle Krankheitserreger eingesetzt wurden. Ein Beispiel sind Chinarindenbäume, denen in der historischen Forschung vergleichsweise viel Aufmerksamkeit zukam. Für etliche pflanzenbasierte antiinfektive Arzneimittel sind ihre Beziehungen zur Kolonialität allerdings noch unzureichend erforscht. Deshalb untersuche ich die Verwicklungen zwischen Arzneimitteln und kolonialen Strukturen anhand einiger Fallbeispiele. Zunächst gilt mein Interesse diversen Chaulmoograölpräparaten, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gegen Lepra eingesetzt wurden. Im Unterschied zu früheren Praktiken des kolonialen Bioprospecting handelte es sich bei den Chaulmoograölpräparaten nicht um getrocknetes Pflanzenmaterial und oft wurden sie auch nicht lediglich aus angeeigneten Pflanzenteilen isoliert. Das aus Chaulmoograpflanzen gewonnene Öl wurde chemisch modifiziert, bevor es, unter anderem von der Firma Bayer, vermarktet wurde. In naher Zukunft möchte ich den Transformationen des Bioprospecting auf der Grundlage von verschiedenen in kolonialen Räumen angeeigneten Anthelminthika (Wurmmittel) weiter nachgehen. Dort lassen sich ähnliche Verschiebungen in den Praktiken des kolonialen Bioprospecting beobachten. Die Kolonialität verflicht sich hier zudem mit der Konzeption der Wirkungen von Arzneimitteln. Vorstellungen von der gezielten Bekämpfung von Krankheitserregern kamen nicht erst mit Ehrlichs Chemotherapie auf. Schon vorher kursierten ähnliche Konzepte der spezifischen Wirkung von Arzneimitteln. Beispielsweise bezeichnete der amerikanische Missionsarzt Oliver Tracy Logan (1870–1919) das Anthelminthikum Santonin im Jahr 1903 als „therapeutische Pistole“. Mit dieser zielten protestantische Missionar_innen auf parasitäre Würmer, um China ihren Vorstellungen von Zivilisation näherzubringen und sich auf dem Feld der Parasitologie als Forschende zu behaupten.
Letzte Änderung: 1. Oktober 2024