Erziehung, eine politische Kategorie?

HSU

29. März 2021

Unter dem Titel „Zwischen ‘Erziehung’ und ‘Vermittlung von Wissen’ für Erwachsene. Andragogische Perspektiven auf die Corona-Pandemie“ untersucht Prof. Dr. Arnd-Michael Nohl, Professor für Erziehungswissenschaft, insbesondere systematische Pädagogik an der Helmut-Schmidt-Universität, gemeinsam mit Dr. Denise Klinge und Prof. Dr. Burkhard Schäffer von der Universität der Bundeswehr München, wie Bürger*innen in Zeiten von Corona durch Politik und Wissenschaft kollektiv zu gesundheitspolitisch gewünschten Verhaltensweisen bewogen werden. Konkret geht es dabei um die Frage, inwieweit Belehrungs- und Erziehungskonzepte in der politischen Kommunikation eine Rolle spielen. Die groß angelegte Studie setzt auf empirische Analysen von Reden, Podcasts und Interviews. Das Kooperationsprojekt startet im April 2021, wird von der VW-Stiftung gefördert und soll im Herbst 2022 auf Schloss Herrenhausen in Hannover präsentiert werden.

Das Forschungsvorhaben zielt darauf ab, aus pädagogischer Perspektive zu untersuchen, wie Bürger*innen durch Belehrung und Erziehung dazu gebracht werden, sich angesichts der Corona-Pandemie infektiologisches Wissen und entsprechendes Verhalten anzueignen. In Analysen von Reden, Expertenbeiträgen, narrativen Interviews und Social-Media-Beiträgen wird andragogische Kommunikation sowohl von Politiker*innen und Expert*innen als auch die Aneignung durch die erwachsene Bevölkerung rekonstruiert.

Prof. Dr. Burkhard Schäffer, Prof. Dr. Arnd-Michael Nohl und Dr. Denise Klinge untersuchen, wie Bürger*innen in Zeiten von Corona durch Politik und Wissenschaft kollektiv zu gesundheitspolitisch gewünschten Verhaltensweisen bewogen werden.
Prof. Dr. Burkhard Schäffer, Prof. Dr. Arnd-Michael Nohl und Dr. Denise Klinge erforschen, wie Bürger*innen in Zeiten von Corona durch Politik und Wissenschaft kollektiv zu gesundheitspolitisch gewünschten Verhaltensweisen bewogen werden.

Krisenbewältigung nicht ohne Bevölkerung möglich

„Unser Projekt leistet aus bildungswissenschaftlicher Perspektive einen Beitrag zur Erforschung von Krisenkommunikation zwischen Staat und Bürger*innen. Es hilft, die Prozesse der politischen Bildung, des Transfers von wissenschaftlichem Wissen und den Umgang der Bevölkerung mit andragogischen Interventionen zu verstehen“, erklärt Projektpartner Professor Arnd-Michael Nohl die Intention seines Forschungsvorhabens. Die erziehungswissenschaftliche Perspektive auf Krisenkommunikation sei wichtig, da in ihr Lösungsstrategien diskursiv zwischen politischen und wissenschaftlichen Eliten einerseits und der Bevölkerung andererseits ausgehandelt werden. Krisenlösung sei letztlich von der Akzeptanz der erwachsenen Bevölkerung abhängig, deren Verhalten entsprechend geändert werden müsse.

Diskursbetrachtungen

Um die aktuelle Krisenkommunikation besser zu verstehen, beleuchten Nohl und Kolleg*innen die pädagogische und didaktische Bedeutung des „Coronadiskurses“, der sich im Zusammenspiel von Politik, Wissenschaft und sozialen Medien konstituiert. Das Projekt wird empirisch valide Ergebnisse zu vier Ebenen des Erziehungs- und Lehrgeschehens in Krisenzeiten liefern:

  • Politische Kommunikation
  • Kommunikation durch Wissenschaftler*innen
  • Bewältigungsstrategien auf sozialen Medien
  • Bedeutung von Erziehungs- und Belehrungsinterventionen im Alltag erwachsener Bürger*innen
Softwaregestützte Analyse eines Podcast-Beitrages von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Softwaregestützte Analyse eines Podcast-Beitrages von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Eine umfassende Theorie politischer Erziehungsdiskurse

Politische Reden, Podcasts, Memes und Verschwörungs-„Theorien“ bilden einen Teil des empirischen Materials, in dem sich politische Bildung und Belehrung der Bevölkerung und erste Reaktionen darauf manifestieren. Dieses Material wird von den Forscher*innen im Sinne des theoretischen Samplings analysiert und im Hinblick auf seine andragogische Bedeutung hin interpretiert. Die Ebene der Alltagspraxis wird in 15 narrativen Interviews und 5 Gruppendiskussionen mit Bürger*innen abgedeckt. 

Das gesamte empirische Material wird mit der Dokumentarischen Methode nach Bohnsack softwaregestützt ausgewertet, um letztlich eine umfassende Theorie und empirische Typologie politischer Erziehungsdiskurse zu generieren.