Die Gesamtregion Schleswig-Holstein/Hamburg bis 2035 mit 100 % erneuerbarer Energie (EE) zu versorgen ist das übergeordnete Ziel des Förderprojektes NEW 4.0. Damit dieses Ziel erreicht werden kann, werden im Rahmen von NEW 4.0 neue innovative Ansätze zur Lösung technischer, regulatorischer und marktrechtlicher Herausforderungen entwickelt und getestet. Es wird eine verstärkte und verbesserte Anpassung des Energieverbrauchs in Hamburg an die fluktuierende Windeinspeisung aus Schleswig-Holstein unter Einbeziehung von Speichern und intelligenten Verbrauchersteuerungen verfolgt.
Die Professur für Elektrische Energiesysteme der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg (HSU) trägt mit ihrer Expertise und langjährigen Erfahrung in den Forschungsbereichen Netzintegration von Speichern und Erneuerbaren Energieanlagen sowie der strategischen Netzplanung und -berechnung einen wichtigen Teil zur Erreichung der gesetzten Ziele in NEW 4.0 bei.
Innerhalb des Projektes wird an verschiedenen Stellen im Hamburger Mittelspannungsnetz die Netzimpedanz mithilfe des an der HSU in einem vorherigen Projekt entwickelten Impedanzmessgerätes für die 10 und 20 kV-Ebene gemessen und evaluiert. Des Weiteren wird der ebenfalls an der HSU in einem vorherigen Projekt entwickelte Netzimpedanzmesscontainer für die 110 kV-Hochspannungsebene in Betrieb genommen. Damit kann erstmalig die Netzimpedanz auf der Hochspannungsebene bestimmt und analysiert werden.
Mithilfe der Netzimpedanz können Rückschlüsse auf den Netzzustand gezogen und eine Bewertung der Anschlusskapazität vorgenommen werden. Die Auswertung der Impedanz ermöglicht eine optimierte Netzintegration von erneuerbaren Energien. Somit unterstützt das Teilprojekt der HSU das Gesamtvorhaben durch die Netzzustandsanalyse auf der Mittel- und Hochspannungseben und die sich daraus ergebenden Integrationsstrategien für die Windenergie.
Bestimmung der frequenzabhängigen Netzimpedanz in der Mittelspannungsebene
Die Bestimmung der frequenzabhängigen Netzimpedanz in Mittelspannungsnetzen (s. Abbildung 1) erfolgt mithilfe eines prüfzertifizierten Messcontainers mit einer Netzanregeschaltung und hochgenauer Messtechnik. Mehrere Sicherheitseinrichtungen schützen den Messcontainer und das Netz vor unerwünschten Betriebs- und Fehlerzuständen. Abbildung 2 zeigt das Netzimpedanzmessgerät für die Mittelspannungsebene.
Der Messcontainer wird mittelspannungseitig über eine SF6-Schaltanlage an das zu vermessende Netz angeschlossen. Ein zusätzlicher Anschluss auf der Niederspannungsebene mit zwischengeschalteter USV gewährleistet die Versorgung der Mess- und Sicherheitstechnik.
Die Anregung des Netzes erfolgt durch hochfrequentes Takten eines Hochleistungswiderstandes mit einem IGBT-Schalter. Durch Anwendung der schnellen Fouriertransformation kann der Frequenzgang der Schleifenimpedanzen aus den Messwerten der Ströme und Spannungen ermittelt werden. Durch asynchrones Schalten der Phasen können die äquivalenten Leiterimpedanzen bestimmt werden. In Abbildung 3 ist das Prinzip der Netzanregung dargestellt, Abbildung 4 zeigt exemplarisch einen gemessenen Frequenzgang der Netzimpedanz.
Bestimmung der zeit- und frequenzabhängigen Netzimpedanz auf der Hochspannungsebene
Die Netzanbindung der erneuerbaren Energieanlagen erfolgt bei höheren Leistungen zunehmend auf höheren Spannungsebenen. Mit steigender Netznennspannung sinkt die auf eine Spannungsebene bezogene charakteristische Impedanz am Netzverknüpfungspunkt (NVP), wodurch eine höhere Leistung eingespeist werden kann.
Um in einem Dreileitersystem die frequenzabhängige Netzimpedanz zu bestimmen, wurde an der Helmut-Schmidt-Universität (HSU) ein Verfahren entwickelt und in mehreren Ausbaustufen zum Patent angemeldet. Das Verfahren basiert auf der Methode des asynchronen Schaltens.
Basierend auf der Entwicklung eines Prototypen und Erfahrungen für Messungen der Netzimpedanz auf der Mittelspannungsebene (Link zum MS-Container) wurde ein transportfähiges Messsystem entwickelt, das es erlaubt die zeit- und frequenzabhängige Netzimpedanz von Netzanschlusspunkten direkt auf der 110 kV-Hochspannungsebene zu bestimmen. Das Projekt „Entwicklung eines Messgerätes zur Bestimmung der frequenzabhängigen Netzimpedanz auf der Hochspannungsebene bis 110 kV zur Bewertung der Verfügbarkeit von Netzkapazitäten als Systemgröße zur Dimensionierung von Energiespeichern“ (Link zum Projekt) wurde unter dem Förderkennzeichen 0325562 vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Mit den Messergebnissen kann die Bewertung von Netzrückwirkungen und die Bestimmung der Anschlusskapazität vorgenommen und die Dimensionierung von benötigten Energiespeichern erfolgen.
Abbildung 4 zeigt den Netzimpedanz-Messcontainer für die Hochspannungsebene.
Für das „asynchrone Schalten“ werden je zwei Phasen mit Hilfe einer SF6-Schaltanlage über eine Diodenbrücke und IGBT-Schalter auf einen Lastwiderstand zu- und abgeschaltet. Die Schaltanlage ist in der Lage die Phasen einzeln zu schalten. Für jede Kombination der Schaltzustände werden die resultierenden Strom- und Spannungsverläufe aufgezeichnet. Anschließend werden durch mathematische Umformungen der Messdaten die frequenzabhängigen Netzimpedanzen der drei Phasen ermittelt. Abbildung 2 zeigt das Ersatzschaltbild zur Vermessung der Netzimpedanz.
Verbundprojekt:
NEW 4.0 wird die Kernherausforderungen der Energiewende mit einer Doppelstrategie lösen:
Die Steigerung des Stromexports in andere Regionen durch effiziente Nutzung und Ausbau der Energieinfrastruktur sowie innovative Netztechnologien in der Region, ferner durch die Erhöhung der energetischen Selbstverwertungsquote für regionale, regenerative Erzeugungspotenziale mit Hilfe konsequenter Sektorenkopplung.
NEW 4.0 legt den Entwicklungspfad zu dem Ziel, die Region bereits 2025 zu 70 Prozent sicher und zuverlässig mit regenerativem Strom zu versorgen. Gleichzeitig soll regenerativ erzeugter Strom sukzessive für die Wärmeversorgung und für industrielle Prozesse, die bislang mit fossilen Energien wie Gas betrieben wurden, verwendet werden: Aus der “Stromwende” soll in Schleswig-Holstein und Hamburg eine Energiewende werden. Hierbei kommen verschiedene Speicher, Technologien wie Power-to-Heat, Power-to-Gas und neue Systeme in industriellen Prozessen (Power-to-Product) zum Einsatz. Zudem soll die marktorientierte Integration mithilfe weiterentwickelter Marktregeln auf Basis einer regulatorischen „Experimentierklausel“ erprobt werden: Die Ergebnisse zur Wirksamkeit eines zukünftigen Rechtsrahmens kann wertvolle Erkenntnisse für die Bundespolitik zur Entwicklung des zukünftigen Marktdesigns liefern.
Projektinitiative:
NEW 4.0 ist Teil des Förderprogramms „Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“ (SINTEG) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Ziel ist es, in großflächigen „Schaufensterregionen“ skalierbare Musterlösungen für eine umweltfreundliche, sichere und bezahlbare Energieversorgung bei hohen Anteilen erneuerbarer Energien zu entwickeln und zu demonstrieren. Im Zentrum stehen dabei die intelligente Vernetzung von Erzeugung und Verbrauch sowie der Einsatz innovativer Netztechnologien und -betriebskonzepte. Die gefundenen Lösungen sollen als Modell für eine breite Umsetzung dienen.
Das Bundeswirtschaftsministerium fördert die fünf Schaufenster mit insgesamt über 200 Mio. Euro. Zusammen mit den zusätzlichen Investitionen der Unternehmen werden über 500 Mio. Euro in die Digitalisierung des Energiesektors investiert. SINTEG ist damit ein wichtiger Beitrag zur Digitalisierung der Energiewende. An den SINTEG-Schaufenstern sind über 200 Unternehmen und weitere Akteure, bspw. aus der Wissenschaft, beteiligt.
Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Schulz (Leiter des Teilvorhabens)
Marc Florian Meyer, M.Sc.
Daniela Vorwerk, M.Sc.
Dipl.-Ing. Baysa Lkhamsuren
Johannes Schräder, M.Sc.
Fakultät für Elektrotechnik
Elektrische Energiesysteme
Letzte Änderung: 27. Mai 2021