Inselnetzerkennung & Systemdienstleistungen – Rivalen oder Verbündete?
Die Zahl dezentraler Erzeugungsanlagen im Niederspannungsnetz steigt seit Jahren stark an (Bild 1). In einigen Netzgebieten übersteigt die Erzeugung zeitweise sogar den Verbrauch. Dies hat zur Folge, dass sich in kleinen Teilgebieten über kurze Zeiträume ausgeglichene Leistungsbilanzen bilden (Bild 2). Was im Hinblick auf eine autonome Versorgung zunächst als positiver Effekt erscheint, ist ein problematischer Zustand, denn die isolierten Netzgebiete bergen Gefahren für Personen und Betriebsmittel, da sie keiner Steuerung durch den Netzbetreiber mehr unterliegen.
Gleichzeitig müssen Erzeuger im Niederspannungsnetz immer mehr zur Systemstabilität beitragen. Die Vorgaben hierfür wurden in den letzten Jahren ausgeweitet. Durch die verschiedenen Anforderungen ergeben sich Zielkonflikte und möglicherweise ungewollte Überlagerungen. Aus diesem Grund beauftragte das Forum Netztechnik und Netzbetrieb (FNN) im VDE die Professur für Elektrische Energiesysteme an der HSU mit einer Studie zur Überprüfung der aktuellen und zukünftigen Anforderungen an die Inselnetzerkennung.
Modellbildung und Methodik
Zur Untersuchung der Zielkonflikte wurden detaillierte Modelle dreiphasiger Wechselrichter mit vollständig parametrierbarem Regelungssystem implementiert. Für belastbare Ergebnisse wurden mehrere Anlagen im Labor aufgebaut und die Ergebnisse der Simulation bestätigt.
Systemdienstleistungen (SDL) werden im Wesentlichen durch variable Wirk- und Blindleistungseinspeisung vorgegeben und wurden in die Modelle integriert (Bild 3 und 4). Zusätzlich müssen Wechselrichter in Zukunft auch bei Spannungseinbrüchen weiterhin am Netz bleiben (sogenannte dynamische Netzstützung), was über die Kurve in Bild 5 hinterlegt wurde. Durch die Integration dieser Regelungsalgorithmen sind die Anlagen in der Lage, reale Netzverhältnisse realitätsgetreu nachzubilden und bleiben zugleich flexibel.
Systemdienstleistungen beeinflussen die Inselnetzerkennung.
Mit dem sogenannten Schwingkreistest können die Betriebspunkte ermittelt werden, in denen sich gefährliche Inselnetze bilden können. Sie werden als Non-Detection-Zones (NDZ) bezeichnet. Sie wird vorgegeben durch Spannungs- und Frequenzbandverletzungen, die aufgrund von Wirk- und Blindleistungsabweichungen entstehen. Je größer die NDZ, desto schlechter die Inselnetzerkennung.
Der Vergleich von Bild 6 und Bild 7 zeigt, dass es durch die Implementierung der Systemdienstleistungen (SDL) in das Modell zu einer Veränderung der NDZ kommt. Damit verändert sich die Effektivität der Inselnetzdetektion. Es sollten also bei zukünftigen Anpassungen der SDL-Vorgaben immer auch die Rückwirkungen auf die Inselnetzerkennung berücksichtigt und untersucht werden.
Inselnetzerkennung und dynamische Netzstützung? Eine gute Ergänzung.
Was passiert, wenn Erzeuger das Netz bei einem Spannungseinbruch unterstützen sollen, sich aber bisher bei der Detektion von Inselnetzen auf genau diesen Zustand verlassen haben und sich vom Netz trennen mussten? Wird da nicht der Ast abgesägt, auf dem man sitzt?
Diese Problematik wurde ebenfalls in Simulation und praktischem Versuch untersucht. Es wurde festgestellt, dass dynamische Netzstützung und Inselnetzerkennung nicht nur miteinander vereinbar sind, sondern sich in kritischen Situationen sogar gegenseitig unterstützen. Einer Integration der dynamischen Netzstützung in die Niederspannung steht die Inselnetzerkennung somit nicht im Weg.
Zusammenfassung und Ausblick
Systemdienstleistungen beeinflussen das Verhalten der Inselnetzerkennung, weshalb bei zukünftigen Änderungen in den Vorgaben die Wechselwirkungen zwingend mit berücksichtigt werden sollten. Eine dynamische Netzstützung im Niederspannungsnetz ist sehr gut mit der Inselnetzerkennung vereinbar. Mittel bis langfristig ist zu erwägen, ob die Vorteile eines gewollten und stabil geregelten Inselnetzbetriebs nicht genutzt werden sollten. Inselnetze können gezielt für eine bessere Versorgungssicherheit sowie einen Netzwiederaufbau nach einem Blackout eingesetzt werden.
Ansprechpartner:
Prof. Dr.-Ing. habil. Detlef Schulz (Projektleiter)
Fakultät für Elektrotechnik
Elektrische Energiesysteme
Letzte Änderung: 27. Mai 2021