Die Debatte um eine Beteiligung chinesischer Technologien an europäischen 5G-Netzen einerseits und die restriktive Haltung unserer transatlantischen Partner andererseits ist ein prominentes Beispiel für das Spannungsfeld, in dem sich die Europäische Union derzeit zwischen den beiden Weltmächten befindet. Welche wirtschafts-, sicherheits- und gesellschaftspolitische Rolle Deutschland in diesem hegemonialen Wettstreit einnimmt oder gar zukommt, war am 27.02.2020 Gegenstand einer prominent besetzten Diskussionsveranstaltung an der Helmut-Schmidt-Universität.
Organisiert wurde die Veranstaltung von Studierenden der IG Sicherheitspolitik an der HSU und dem Hanseatischen Arbeitskreis für Sicherheitspolitik – eine Kooperation von HSU-Studierenden, der Hamburg School of Business Administration und der Universität Hamburg. Die Studierendeninitiative konnte mit einem hochkarätigen Panel aufwarten: Staatsminister Niels Annen (Staatsminister beim Bundesminister des Auswärtigen), MdB Jürgen Trittin (Bundesminister a. D. und Mitglied des Bundestages Bündnis 90/Die Grünen), Botschafter Ekkehard Brose (Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik), Nils Haupt (Leiter Unternehmenskommunikation bei Hapag-Lloyd) und Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Mechthild Leutner (Direktorin des Konfuzius-Instituts an der FU Berlin) verdeutlichten auf einem facettenreichen Ritt durch die chinesisch-europäischen Beziehungen, dass Chinas globales Wirtschaftsengagement massive Auswirkungen auf den europäischen Integrationsprozess und unsere liberale Gesellschaftsordnung haben dürfte. Univ.-Prof. Dr. Michael Staack, Professor am HSU-Lehrstuhl für Theorie und Empirie der Internationalen Beziehungen, moderierte die Veranstaltung durch vier Kapitel und spannte den Bogen zwischen akademischen Betrachtungen und Einschätzungen aus der politischen und industriellen Praxis:
· China als Wirtschafts- und Technologieweltmacht
· Chinas Gesellschaftspolitik
· Chinas Aufstieg und globale Machtverschiebungen
· Sicherheitspolitik
Pascal du Hamél, neben Anthony Müller, einer der Masterminds hinter der studentischen Initiative, schickte bereits in seinem Grußwort voraus: „Der heutige Abend ist als Auftaktveranstaltung zu sehen. Wir wollen auch zukünftig den sicherheitspolitischen Austausch fördern und gesamtgesellschaftlich verankern. Es war uns sehr wichtig, Referenten aus verschiedenen Teilen der Fachwelt zu gewinnen, um eine kontroverse Debatte zu ermöglichen und mannigfaltige Perspektiven abzubilden.“ Weitere Veranstaltungen sind in Planung.
Eine Auswahl an O-Tönen des Abends:
„Die Verflechtungen der deutschen und chinesischen Volkswirtschaften sind sehr eng. China betreibt die größten Logistikdrehscheiben der Welt und investiert mit der „Belt and Road“-Initiative massiv in europäische Häfen wie jenem von Piräus. Die Expansion Chinas in Europa ist nicht mehr aufzuhalten.“ – Nils Haupt auf die Frage, ob Decoupling eine europäische Antwort auf Chinas Außenhandelspolitik sein kann.
„Wir dürfen nicht in die Falle tappen, ein neues Feindbild zu zeichnen, wie wir es damals im Kalten Krieg taten. Aber wir müssen illusionslos analysieren, wie China aktuell die Europäische Union verändert.“ – Staatsminister Niels Annen warnt die Mitglieder der EU davor, sich von China wirtschaftspolitisch auseinanderdividieren zu lassen.
„Es geht im chinesischen Sozialkreditsystem nicht darum, Verhalten zu dokumentieren, sondern das Verhalten einzelner zu prognostizieren. „Big Data“ ermöglicht erstmals ein solches System.“ – MdB Jürgen Trittin über die technologischen Voraussetzungen des chinesischen Überwachungsstaates.
„Medial wird das Verhältnis zwischen dem Westen und China häufig zu einem Kampf der Systeme hochstilisiert, doch wir müssen auch sehen, dass es Parallelen zu unserer marktwirtschaftlichen Ordnung gibt.“ – für Univ.-Prof. Dr. Mechthild Leutner stehen hinter unterschiedlichen Methoden der beiden Systeme häufig vergleichbare regulative Absichten.
„China hat legitime Wirtschaftsinteressen und ist bedacht darauf, diese infrastrukturell und finanziell durchzusetzen. Das chinesische Investitionsprogramm schafft jedoch Abhängigkeiten, die Auswirkungen auf das politische Handeln von finanziell bedrängten Staaten haben können.“ – Botschafter Ekkehard Brose über die sicherheitspolitischen Implikationen des chinesischen Investitionsprogrammes.