Leiterin: Prof. Dr. Carola Groppe; Mitarbeiterin: Johanna Lauff, M. A.
Zusammenfassung des Projektberichts:
In diesem Projekt geht es um eine grundlegende Diskussion der Epoche des deutschen Kaiserreichs aus bildungshistorischer Sicht. Umgesetzt wird dies durch sozialisationshistorische Fallgeschichten, die aus einer Vielzahl an Selbstzeugnissen (insbesondere Briefwechsel mit je mehreren hundert Briefen aus einer Unternehmerfamilie) aus dem Kaiserreich erarbeitet werden und die in den Spannungsbogen zwischen den ersten beiden Jahrzehnten nach der Reichsgründung (1871-1890) und den darauffolgenden Jahrzehnten bis zum Ersten Weltkrieg (1890-1914) gestellt werden. Das Kaiserreich wurde von einem Agrarstaat zu einem hoch industrialisierten Staat, die Bevölkerung wuchs von 41 Millionen zur Reichsgründung auf 65 Millionen 1910 an, aus acht Städten mit über 100.000 Einwohnern 1871 wurden bis 1910 48 Städte, und Berlin besaß kurz vor dem Ersten Weltkrieg bereits über zwei Millionen Einwohner. Es veränderten sich die Institutionen, die Sozialstruktur, die Arbeitswelten, die Kultur, die öffentlichen Interaktionsformen und die Lebensperspektiven in allen Schichten der Bevölkerung. Die Gesellschaft des Kaiserreichs wurde in vieler Hinsicht plural, sie wurde in wachsendem Maß binnenmobil, sie wurde eine Einwanderungsgesellschaft und sie wurde eine Gesellschaft, in der sozialer Aufstieg und Emanzipation zunehmend realisierbar wurde. Besonderes Augenmerk richtet sich in den Fallstudien daher auf politische, soziale, ökonomische und kulturelle Wandlungsprozesse und wie diese in Sozialisationsprozessen verarbeitet und mitgestaltet wurden. Im Schwerpunkt geht es um Fragen der Globalisierung und des Nationalbewusstseins (Handlungen und Interpretationen in nationalstaatlichen und globalen Zusammenhängen), zweitens um Geschlechterfragen (Männlichkeits- und Weiblichkeitsideale und deren Relation, geschlechtsbezogene Selbstpräsentationen und Handlungsorientierungen) sowie drittens um den Themenkomplex Autorität (Anerkennung oder Ablehnung obrigkeitlicher Herrschaftsformen, Praktiken machtförmiger und hierarchischer Sozialbeziehungen), der ausgehend von der älteren These Hans-Ulrich Wehlers von der grundlegend autoritären Matrix des Kaiserreichs geprüft wird. Diese drei übergeordneten Perspektiven werden jeweils auf sämtliche Untersuchungsbereiche angewendet: Ehebeziehungen und Familienerziehung, schulische Sozialisation von Jungen und Mädchen, Militärzeit, Ausbildung und Beruf, Peer Groups. Die Ergebnisse des Projekts werden als Monographie im Sommer 2018 publiziert.
Letzte Änderung: 9. Februar 2018