Entwicklung eines Frameworks zur fähigkeits- und skillbasierten Produktion auf Basis semantischer Modelle

Die industrielle Produktion befindet sich seit Jahren in einem Wandel, der von sich ändernden Kundenbedürfnissen, sinkenden Losgrößen und kürzer werdenden Produktlebenszyklen charakterisiert ist. Klassische Automatisierungsansätze auf der Basis monolithischer Systeme und hierarchischer Architekturen kommen an ihre Grenzen. Um in einem solchen Umfeld kompetitiv zu bleiben, werden flexiblere Automatisierungskonzepte gefordert, die über ein hohes Maß an Adaptierbarkeit verfügen. So müssen sich Maschinen bei Bedarf mit möglichst geringem Aufwand in eine Anlage integrieren bzw. aus dieser entfernen lassen, ohne dass dazu aufwendige Änderungen an den Steuerungssystemen anfallen.

Eine Voraussetzung dafür ist, dass Maschinen über eine maschinenlesbare Beschreibung verfügen, die insbesondere deren Funktionen umfasst. Mit Hilfe einer solchen Beschreibung können bspw. automatisiert Maschinen ausgewählt werden, die zur Herstellung eines Produktes benötigt werden. Und auch das Steuern von Maschinen kann durch die Informationen, die in einer solchen Beschreibung enthalten sind, vereinfacht werden.

In der Forschung werden solche Beschreibungen unter dem Begriff der fähigkeits- und skillbasierten Produktion untersucht. In diesem Kontext stellen Fähigkeiten Spezifikationen von Funktionen dar, die eine Maschine bietet. Als Skills werden ausführbare Funktionen bezeichnet, die über eine gekapselte Implementierung verfügen, welche mittels einer maschinenlesbar beschriebenen Aufruf-Schnittstelle aus einem übergeordneten Steuerungssystem aufgerufen werden können.

Semantisches Modell zur Beschreibung von Maschinen, deren Fähigkeiten und Skills

Skill-Modell

Zur maschinenlesbaren Beschreibung der Fähigkeiten und Skills von Maschinen setzen wir auf Ontologien. Ontologien stellen formale Beschreibungsmittel dar, mit denen die Bedeutung von Begriffen und den Zusammenhängen zwischen Begriffen formal beschrieben werden kann. Wir entwickeln eine Ontologie, mit der sich die Struktur von Maschinen sowie deren Fähigkeiten und Skills modellieren lassen [1]. Diese Ontologie besteht aus einzelnen, in sich geschlossenen Ontologien, die alle auf Standards basieren. Die Abbildung rechts gibt eine vereinfachte Übersicht über die entwickelte Ontologie sowie die einzelnen Teil-Ontologien. In dieser Abbildung repräsentiert jedes Sechseck einen Standard. Die komplette Fähigkeits- und Skill-Ontologie ist unter https://github.com/aljoshakoecher/machine-skill-model verfügbar. Die einzelnen, auf Standards basierenden „Teil-Ontologien“ sind ebenfalls verfügbar – Links zu den einzelnen Ontologien befinden sich unter https://github.com/hsu-aut/Industrial-Standard-Ontology-Design-Patterns.

Methoden zur automatisierten Modell-Erstellung

Neben der entwickelten Fähigkeits- und Skill-Ontologie arbeiten wir an Engineering-Methoden, um die Erstellung dieses doch recht komplizierten Modells zu vereinfachen und möglichst zu automatisieren [2-4]. In diesem Zuge entwickeln wir ein Java-Framework, das einem Maschinen-Entwickler allen zusätzlichen Aufwand, der beim Einsatz von Fähigkeiten und Skills anfallen würde, abnimmt. Dieses Framework erstellt automatisch…

  • einen erforderlichen Zustandsautomat, den jeder Skill aufweisen muss
  • einen OPC-UA- oder Web-Server, über den Skills später aufgerufen werden können
  • die komplette Beschreibung in Form der oben beschriebenen Ontologie

Das Java-Framework ist unter https://github.com/aljoshakoecher/skill-up verfügbar. Für die Skill-Implementierung mittels klassischer SPS-Programmierung nach IEC 61131 arbeiten wir darüber hinaus an einem vergleichbaren Ansatz, der aus der Kombination einer SPS-Bibliothek mit einem automatisierten Mapping besteht (s. https://github.com/aljoshakoecher/plc2skill). Und um die Brücke zur Prozessautomatisierung zu schlagen, in der mit dem sog. Module Type Package (MTP)ein vergleichbarer Ansatz zur Beschreibung von Maschinenfunktionen besteht, wird ein automatisiertes Mapping zwischen MTPs und dem zuvor beschriebenen Fähigkeits- bzw. Skill-Modell entwickelt. Auch zu diesem Mapping-Ansatz gibt es ein Software-Tool, welches unter https://github.com/hsu-aut/mtp2skill abrufbar ist.

Anwendung der Modelle zur Produktionsplanung und -ausführung

Verfügt man nun über ein maschinenlesbares Modell und Methoden zur vereinfachten Modell-Erstellung, so stellt sich die Frage, wie dieses Modell zu Zwecken der automatischen Produktionsplanung und -ausführung genutzt werden kann. Für die Produktionsplanung entwickeln wir Ansätze, um eine Produktionsanfrage sowie gegebene Fähigkeiten und Skills in ein KI-Planungsproblem zu überführen und dieses mit bestehenden Solvern zu lösen. In einem ersten Ansatz haben wir dazu den Einsatz der Planning Domain Definition Language (PDDL) untersucht [5].

Zur Beschreibung und Ausführung von Produktionsprozessen auf der Basis von Fähigkeiten und Skills untersuchen wir Business Process Model and Notation (BPMN). Mit Hilfe eines eigens entwickelten Modellierungsansatzes sind wir in der Lage, Fähigkeiten in einen BPMN-Prozess zu integrieren. Zur Ausführung werden für alle Fähigkeiten die vorhandenen Skills ermittelt, sodass der Prozess automatisiert ausgeführt werden kann [6]. Der Ansatz erlaubt neben der automatisierten Skill-Ausführung die Integration typischer „IT-Funktionen“ wie bspw. Einbinden von User-Eingaben, Error-Handling auf Prozess-Ebene, Messaging. Der Ansatz zum Modellieren und Ausführen von Fähigkeits- bzw. Skill-Prozessen wurde in skillbasiertes Leitsystem integriert. Dieses steht unter https://github.com/aljoshakoecher/SkillMEx zur Verfügung.

Veröffentlichungen

[1]: A. Köcher, C. Hildebrandt, L.M. Vieira da Silva, A. Fay: A Formal Capability and Skill Model for Use in Plug and Produce Scenarios. In: 2020 25th IEEE ETFA

[2]: A. Köcher, C. Hildebrandt, B. Caesar, J. Bakakeu, J. Peschke, A. Scholz, A. Fay: Automating the Development of Machine Skills and their Semantic Description. In: 2020 25th IEEE ETFA.

[3]: A. Köcher, T. Jeleniewski, A. Fay: A Method to Automatically Generate Semantic Skill Models from PLC Code. In: 2021 – 47th IEEE IECON

[4]: A. Köcher, L. Beers, A. Fay: A Mapping Approach to Convert MTPs into a Capability and Skill Ontology. In: 2022 27th IEEE ETFA – Preprint unter https://arxiv.org/abs/2205.01382 abrufbar

[5]: L.M. Vieira da Silva, R. Heesch, A. Köcher, and A. Fay: Ein Ansatz zur Integration von Fähigkeitsmodellen in KI-Planungsansätze. In: at – Automatisierungstechnik (eingereicht zur Begutachtung)

[6]: A. Köcher, L.M. Vieira da Silva, A. Fay: Modeling and Executing Production Processes with Capabilities and Skills using Ontologies and BPMN. In: 2022 27th IEEE ETFA– Preprint unter https://arxiv.org/abs/2204.09472 abrufbar

HSU

Letzte Änderung: 6. Oktober 2022